Britische Armee beendet Nordirland-Einsatz | Belfast. (Apa/dpa) Kein Mensch flieht, wenn in Belfast die Panzerwagen anrollen. Aus den Luken schauen keine Soldaten, sondern Nachtschwärmer. Statt mit Maschinengewehren sind die einst gefürchteten "Humber Pigs" mit Sound-Anlagen ausgerüstet. Aus der Metropole des Nordirland-Terrors ist die jüngste Partyhochburg Großbritanniens geworden. Am heutigen Dienstag gibt es wahrhaftig einen Grund zum Feiern: Nach 38 Jahren beendete die britische Armee um Mitternacht offiziell ihren Militäreinsatz in der einstigen Unruhe-Provinz.
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"Davon haben wir früher nicht mal zu träumen gewagt", sagt Jungunternehmer Fearghal O'Connor. Er hat der Armee Panzerwagen und Mannschaftstransporter abgekauft und sie zu rollenden Mini-Nachtclubs umgebaut. Die Nachfrage ist groß. "Wir haben halt ziemlichen Nachholbedarf in Sachen Fröhlichsein", sagt O'Connor.
Mehr als 3500 Menschen waren dem Terror in Nordirland zum Opfer gefallen, seit der lange schwelende Konflikt zwischen Katholiken und Protestanten 1969 in Londonderry zu Barrikadenkämpfen eskalierte. Damit und mit den Anschlägen der katholisch-extremistischen IRA sowie der Terrorgruppen von Protestanten war die Polizei hoffnungslos überfordert. Die britische Regierung ordnete den militärischen Einsatz der Armee in eigenen Staat an.
Gedacht war die "Operation Banner" für kurze Zeit. Gedauert hat sie länger als jeder andere Einsatz in der Geschichte der britischen Streitkräfte. Insgesamt mehr als 300.000 Soldaten hielten im Laufe der Jahre in Nordirland oft nur mit Mühe und unter Einsatz ihres Lebens Ordnung und Sicherheit wenigstens einigermaßen aufrecht.
763 Soldaten starben in Folge direkter Angriffe, zumeist durch die IRA. In Nordirland verloren - wenngleich über einen viel längeren Zeitraum - fast drei Mal so viele britische Soldaten ihr Leben wie 1982 im Falkland-Krieg sowie mehr als drei Mal so viele wie bisher bei den Einsätzen im Irak und in Afghanistan zusammengenommen.
Allerdings liegt die heiße und besonders blutige Phase der Kämpfe in Nordirland nun zehn Jahre zurück. Der letzte britische Soldat, der ums Leben kam, wurde von einem Heckenschützen im Februar 1997 in der Stadt Armagh getroffen. Gut ein Jahr danach trugen die politischen Bemühungen um Frieden im Norden der irischen Insel endlich Früchte.
Das Karfreitagsabkommen, an dem neben den Konfliktgegnern die Regierungen der Republik Irland und Großbritanniens beteiligt waren, ließ die 1,7 Millionen Menschen in der vergleichsweise kleinen britischen Unruheprovinz aufatmen. Die militanten Gruppen hatten sich zu der Erkenntnis durchgerungen, dass nur eine gemeinsame Verwaltung des Landstrichs als weitgehend autonome Region im britischen Staatsverband den Menschen Sicherheit und Wohlstand ermöglichen kann.
Doch es dauerte noch lange, bis sich die Waffen abgegeben wurden und eine gemeinsame Regierung der katholischen Partei Sinn Fein und der protestantischen Demokratischen Unionistenpartei (DUP) die Arbeit aufnahm. "Ohne den Mut, die Hingabe und die Opferbereitschaft der Soldaten", - daran erinnerte jetzt der frühere Erzbischof der Kirche von Irland, Lord Eames - "wäre dies nicht möglich geworden".
Von den martialischen Wandbildern in Belfaster Wohnvierteln von Katholiken und Protestanten, an denen heute Heerscharen von Touristen mit Digitalkameras vorbeiziehen, ist dies freilich kaum abzulesen. Deren Helden sind bis heute die jeweiligen Kämpfer im Untergrund.