Zum Hauptinhalt springen

Patchworkfamilie: Meine, deine, unsere

Von Brigitte Suchan

Reflexionen
© fotolia

Film und Fernsehen gaukeln uns vor, dass es ganz einfach und wunderbar ist, in einer "Patchwork-Familie" zu leben. Doch Experten wissen, dass der Weg dorthin lang und steinig ist.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 15 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Die normale Kleinfamilie, bestehend aus Mama, Papa und Kind, läuft Gefahr, zum Auslaufmodell zu werden. Mittlerweile wird fast jede zweite Ehe geschieden und als Folge davon gibt es immer mehr alleinerziehende Elternteile oder neue Lebensgemeinschaften mit Kindern aus verschiedenen Partnerschaften. Früher nannte man den neuen Elternteil Stiefvater oder Stiefmutter, aber diese Bezeichnung hat ein massives Imageproblem. "Patchwork-Familie" klingt hingegen fröhlich. Aus verschiedenen Teilen wird etwas Neues, Buntes gebastelt, das allen Freude macht und hübsch anzuschauen ist.

Grau, Freund, ist alle Theorie, wusste schon Geheimrat Goethe - wohl auch aus eigener Erfahrung. Was tun, wenn die Tochter den neuen Partner der Mutter nicht einmal mit der Aussicht auf jährlichen Urlaub am Meer akzeptieren will? Und der hat dann womöglich auch noch eigene Kinder - will heißen potenzielle Konkurrenten -, die er in die enge Mutter-Tochter-Beziehung einschleusen will. Oder wenn es einem beim besten Willen nicht gelingen will, die Kinder der neuen Partnerin nett zu finden, weil sie bloß verzogene Gören sind?

Familientherapeuten raten zu liebevoller Konsequenz und betonen, wie wichtig es sei, miteinander zu reden - über alles. Kinder müssen lernen, Verständnis für die Situation der Erwachsenen aufzubringen, und die Erwachsenen müssen auf die Sorgen und Ängste der Kinder eingehen. Aber Liebes- und Eltern-Kind-Beziehungen seien zweierlei, warnt die Pädagogin Doris Früh-Naumann. Man müsse sich auch von dem Klischeebild trennen, dass alle einander lieben und fortan alles gemeinsam machen. "Das kommt nur in Hollywood-Filmen oder in der Werbung vor", meint die Psychotherapeutin Claudia Reinthaller. Und Roman Kosch, Rechtsanwalt und Mediator, formuliert es noch nüchterner: "Die Beteiligten sollten eine neutrale Beziehung zueinander finden, mehr muss es nicht sein."

Der Weg zur funktionierenden Patchwork-Familie ist lang und birgt vielerlei Schlaglöcher. Experten sind sich einig, dass gut Ding Weile braucht. Zwei bis drei Jahre dauert es mindestens, bis aus den Restbeständen eines zerbrochenen Familienverbandes eine neue Gemeinschaft zusammenwachsen kann, die die Bezeichnung Familie auch verdient. Und in dieser Zeit kann es auch schon mal ordentlich krachen. Viele Familien machen den Fehler, dass sie am Anfang zu große Erwartungen in die neue Familie setzen. Wer zu schnell auf Normalität drängt, überfordert damit oft die Kinder, den Partner und auch sich selbst.

Genaue Statistiken gibt es nicht für Österreich, doch man schätzt, dass jede siebente Familie heute als Patchwork-Familie zusammenlebt. Entweder bringt die Mutter ihre Kinder mit in die neue Beziehung. Oder der Vater. Oder die Kinder von beiden Elternteilen leben in der Familie. Manchmal leben auch Kinder aus einer früheren Beziehung beim Expartner und kommen nur am Wochenende zu Besuch. Oft kommen auch noch gemeinsame Kinder aus der neuen Beziehung dazu. Jede Patchwork-Familie ist eben anders.

Vernunft statt Rosenkrieg

Voraussetzung für das Funktionieren einer neuen, familienähnlichen Gemeinschaft, wie immer man sie dann nennen mag, ist die möglichst gütliche und saubere Trennung von ehemaligen Partnern. Wenn eine Scheidung in einen Vernichtungsfeldzug ausartet, bei dem am Ende nur verbrannter Boden übrigbleibt, hat der Patchwork-Familien-Versuch wenig Chancen auf Erfolg, weiß Roman Kosch aus der Praxis. Aber zum Glück seien Rosenkriege und Schlammschlachten, wie man sie aus den Medien kennt, selten, meint er. Der überwiegende Teil der Ehen werde einvernehmlich geschieden. Roman Kosch ist der juristische Part in der Initiative "Glücklich geschieden", die es seit etwa zwei Jahren gibt. Gemeinsam mit der Psychotherapeutin Claudia Reinthaller und der Kindertherapeutin Susanne Hausleithner-Jilch ist der Anwalt um effiziente Beratung bei Trennungen sowie für eine reibungslose und stressfreie Abwicklung bemüht.

Das Team nähert sich Problemen, die bei einer Trennung entstehen (können), von verschiedenen Seiten. Susanne Hausleithner-Jilch vertritt die Seite der Kinder, indem sie in der schwierigen Phase der Neuordnung Ansprechpartnerin für die Kinder ist. Claudia Rein-

thaller hilft als Therapeutin bei der Bewältigung des explosiven Emotions-Cocktails. Aus Erfahrung weiß sie, dass es wichtig ist, Gefühle wie Wut und Kränkung zuzulassen. Bis die Betroffenen letztendlich Verständnis dafür gewinnen, warum es so gekommen ist, wie es gekommen ist, dauert es aber. Wichtig sei, dass in dieser Phase nichts passiert, das alles zerstört, darüber sind sich die drei Experten einig und alle beschwören ihre Klienten immer, Konflikte nicht über die Kinder auszutragen.

Veränderung braucht Zeit

Eine neue Beziehung bedeutet nicht nur, dass Papa oder Mama einen neuen Partner haben, sondern auch einen neuen Erzieher für das Kind, oft einen neuen Freundeskreis und vielleicht sogar eine neue Umgebung. So viel Veränderung braucht Zeit. Aus der Praxis weiß Claudia Reinthaller, dass Frauen häufiger versuchen, die Kinder in eine neue Beziehung zu integrieren, was oft dazu führt, dass die leiblichen Väter aus der wiedererschaffenen Vater-Mutter-Kind-Idylle hinausgedrängt werden. Doch gerade die jüngeren Väter suchen den Kontakt zu ihren Kindern. "Die Frage, wo bleibt das Kind nach einer Scheidung, wurde vor ein paar Jahren immer eindeutig zu Gunsten der Mutter entschieden. Aber die modernen Väter wollen ihr Recht aufs Kind durchsetzen", meint Roman Kosch und er ist überzeugt, dass es die Judikatur verändern wird, wenn die Generation der neuen Väter in die Richterposition kommt.

Susanne Hausleithner-Jilch spricht überhaupt von einem Paradigmenwechsel. Das 20. Jahrhundert sei das erste Jahrhundert, in dem man sich Gedanken um das Wohlergehen der Kinder gemacht habe. Davor seien Kinder billige Arbeitskräfte gewesen, als kleine Erwachsene ohne eigene Bedürfnisse betrachtet worden oder als Nachwuchs, der den Fortbestand einer Sippe bzw. einer Familie sichern sollte. Dass Kinder im Mittelpunkt aller Familienbelange stehen, sei eine gänzlich neue Entwicklung.

Man sollte die Patchwork-Familie nicht verklären, meinen die Experten von "Glücklich geschieden" übereinstimmend, weil eine Lösung sei immer schwierig und ein langer Weg. Und schließlich hätten die geschiedenen Expartner auch ein Recht auf ein neues und eigenes Leben, meint Roman Kosch. Er würde nicht mit seiner neuen Partnerin und seiner Exfrau der Kinder wegen gemeinsam auf Urlaub fahren wollen, denn schließlich habe man sich ja getrennt, damit man nicht mehr mit seiner Frau die Ferien verbringen müsse, überlegt er schmunzelnd. Einigkeit herrscht auch darüber, dass die funktionierende Ursprungsfamilie das beste Modell für die Kinder sei, "wobei die Betonung auf funktionierend liegt", wirft Claudia Reinthaller ein. "Wenn Kinder spüren, dass es zwischen den Erwachsenen nicht stimmt, werden sie unrund."

Krise als Chance

Die Auswirkungen einer Trennung für Kinder sind allerdings längst nicht so dramatisch, wie oft angenommen wird. Laut Langzeitstudien der beiden amerikanischen Experten für Scheidungsforschung, Mavis Hetherington und Paul Amato, geht es etwa 80 Prozent der daran beteiligten Kinder und Jugendlichen ca. zwei Jahre nach der Trennung der Familie gesundheitlich und seelisch gut. Etwa 20 Prozent neigen weiterhin zu Verhaltensproblemen. Wobei auch in sogenannten intakten Familien bis zu 20 Prozent der Kinder behandlungsbedürftige Verhaltensprobleme aufweisen. Langzeitfolgen von Scheidungen ließen sich in dieser Form nicht nachweisen.

Im besten Falle kann eine Patchwork-Familie eine für alle Beteiligten bereichernde Lebensform sein, weil sie Perspektiven eröffnet und Vielfalt bietet. Wenn Kinder spüren, dass sie in verschiedenen Familien willkommen sind und Erwachsene sich nicht ausschließlich an die Verletzungen in ihren ehemaligen Partnerschaften erinnern, ist ein großer Schritt getan. Der gesellschaftliche Wandel ist unumstößlich und neue Lebenssituationen erfordern neue Lebensmodelle.

Buchtipp: Peter Scheer, Marguerite Dunitz-Scheer: "meine, deine, unsere - Leben in der Patchworkfamilie",

Falter Verlag, ISBN 3-85439-298-2

Beratung

Glücklich geschieden.

Experten für Scheidung

Bäckerstraße 1, 1010 Wien,

T: 513 23 44, kontakt@glücklichgeschieden.at, www.glücklichgeschieden.at

Patchwork-Familien-Service.

Verein für Elternteile und Familien

im Wandel mit Hauptsitz in Graz

St. Gotthard Straße 48/4, 8046 Graz,

T: 0664/231 14 99,

info@patchworkfamilien.at,

www.patchworkfamilien.at