Es muss furchtbar sein, als Heldennation schlafen zu gehen, nur um dann als Bananenrepublik wieder aufzuwachen.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 8 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Wie beschreibt man ein Land, das mit der Unbekümmertheit eines Schlafwandlers scheinbar mühelos zwischen den emotionalen Extremen pendelt: Im einen Moment fühlt sich Österreich als Experimentierfeld einer Auseinandersetzung, deren Bedeutung sehr viel größer ist als die im Grunde genommen - jetzt global betrachtet - ja lächerliche Frage, wer zwischen Boden- und Neusiedler See regiert.
Auf der einen Seite eine sich selbst verzehrende politische Mitte, die seit mehr als sieben Jahrzehnten am Ruder ist und der ob dieser langen Zeit jener politische Urinstinkt abhanden gekommen ist, der Parteien in die Lage versetzt, Wahlen und Mehrheiten zu gewinnen. Und auf der anderen Seite sich jugendlich inszenierende Stürmer und Dränger, die mit ihrem seltsamen Mix aus nationalistischen, ethno-sozialistischen und xenophoben Forderungen das altehrwürdige Establishment das Fürchten lehrt.
In dieser Schlacht geht es um mehr als nur um die beiden Seiten des Wiener Ballhausplatzes, wo Kanzleramt und Präsidentenkanzler einander gegenüberliegen: Hier gibt Österreich tatsächlich jene kleine Bühne ab, wo die große Welt ihre Probe hält.
Kein Wunder, dass beide Seiten gerne ins Pathos verfallen, wie erst jüngst wieder das Duell zwischen Alexander Van der Bellen und Norbert Hofer allen zeigte, die es noch nicht wussten.
Unsere Neigung zur dramatischen Überzeichnung wird nun konterkariert (oder doch ergänzt?) von der aktuellen Sezierung des politischen Körpers dieser Republik, die aktuell gerade vor dem Verfassungsgerichtshof stattfindet. Irgendwie wirken all diese Verfehlungen und Verstöße gegen die Wahlordnung im Zusammenhang mit der Abhaltung der Stichwahl um die Hofburg so, als hätte das gemeine Fußvolk den von allen Seiten ausgerufenen Titanenkampf zwischen den Mächten des Lichts und der Finsternis (und gerne auch umgekehrt) durch diverse Umgehungen und Schlampereien sabotieren wollen. Die Botschaft, die da mitschwingt, könnte dabei durchaus lauten: "So wichtig, wie die sich da oben nehmen, sind sie nun auch wieder nicht - und wir machen das auch bei einer Schicksalswahl so, wie wir es schon immer gemacht haben."
Diese Vermutung eines subversiven Akts ist natürlich ein romantischer Gedanke, der von der Realität geradezu sträflich im Stich gelassen wird. Tatsächlich geschahen die Schlampereien einfach so, ohne größere Idee, die inszenierte Realität zu unterwandern. Die sehr viel näher liegenden Gründe für die Verfehlungen pendeln zwischen Ignoranz für geltendes Recht, Überforderung durch geltendes Recht und Pragmatismus trotz geltendem Recht.
Allein die Möglichkeit, die Stichwahl um das höchste Amt der Republik im Herbst wiederholen zu müssen, verzwergt das politische Experimentierfeld im Herzen Europas nun zur Bananenrepublik im Geiste Kakaniens, ganz im Sinne des Karl Kraus zugeschriebenen Satzes: Die Lage ist hoffnungslos, aber nicht ernst.
Sollte es tatsächlich zu einer Wiederholung der Stichwahl Van der Bellen gegen Hofer kommen (müssen), zeigt sich, ob ein ganzes Land auch beim Déjà-vu zu so viel Pathos fähig ist.