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Information muss beim Patienten ankommen. | Arzt sollte Empathie und Zeit einbringen. | Wien. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine Frau deren Mammografie den Befund "positiv" ergibt, wirklich bösartigen Brustkrebs hat? Nur zehn Prozent, erklärte Gerd Gigerenzer, Direktor des Berliner Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung, seinen großteils verblüfften Zuhörern. Als von 1000 Frauen 922 negativ getestet wurden, hatte eine davon doch Brustkrebs, unter den 78 positiv getesteten waren es letztlich sieben - bei 71 bestätigte sich der Verdacht nicht.
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Gigerenzer sprach zur Eröffnung des vom Europäischen Forum Alpbach mit Partnern organisierten Symposions "Medizin und Ethik: Wo steht der Mensch" in Wien und plädierte eindringlich dafür, dass Menschen - insbesondere Medizinern - neben Lesen und Schreiben auch statistisches Denken beigebracht werde. Sogar in medizinischen Fachzeitschriften würden immer wieder irreführende relative Prozentzahlen genannt, das habe unter anderem in Großbritannien zu einem Ansteigen der Abtreibungen geführt, weil eine solche Meldung bewirkt hatte, die negativen Nebenwirkungen der Anti-Baby-Pille drastisch zu überschätzen. Gigerenzer stellte umfassende Screenings zur Früherkennung von Brust- oder Prostatakrebs massiv in Frage, in absoluten Zahlen seien die Erfolge solcher Screenings minimal und stünden in keinem Verhältnis zum finanziellen Aufwand, den man im Gesundheitswesen besser einsetzen könnte.
Hauptthema der zweitägigen Veranstaltung war die Kommunikation zwischen Arzt und Patient, der Weg zu einem wirklich heilsamen Gespräch, die Ausbildung der Jungmediziner in diese Richtung. Die Wiener Psychoanalytikerin Marianne Springer-Kremser erläuterte, welche wichtige Rolle das Eingehen auf das Wertesystem des Patienten und seine subjektive Krankheitstheorie über die Entstehung der Krankheit sowie die richtige Balance zwischen Distanz und Nähe spielt. Ärzte sollten weniger reden und mehr zuhören, wie es eine berühmte Patientin von Sigmund Freud einmal sehr heftig von dem berühmten Seelenarzt gefordert hatte.
Für eine therapeutische Partnerschaft von Arzt und Patient in Form einer gemeinsamen Reflexion von Wissen aufgrund von Wertvorstellungen trat der Wiener Anästhesist Michael Peintinger ein. Jene Selbstbestimmung des Patienten, die er sich wünscht, brachte die Wiener Künstlerin und Pädagogin Ina Sträßler zum Ausdruck. Sie erzählte ihre Krankheitsgeschichte und wie sehr es auf Eigenverantwortung und die in diesem Wort enthaltene "Antwort" ankomme, die "Antwort, die ich der Frage gebe, die die Krankheit an mich stellt". Der Patient könne und dürfe seine Eigenverantwortlichkeit dem Arzt übertragen.
Für die Wiener Wissenschaftsforscherin Ulrike Felt ist entscheidend, "in welchem Kontext Wissen und Entscheiden überhaupt stattfindet". Die Realität sei meist, dass dem Patienten nahegelegt werde erst einmal zur Absicherung des Arztes seitenlange Texte als akzeptiert zu unterschreiben, darüber geredet könne eventuell noch später werden. Die Schriftstellerin Marianne Gruber ortete eine "Dokumentitis", bei der ein Teil der Verantwortung an Computer und Papier delegiert werde.
Der Innsbrucker Nephrologe Paul König präsentierte als Idealbild eine Pyramide der Kompetenz: Basis ist die Naturwissenschaft, darüber sind aufsteigend Psychosoziale Kompetenz, Spiritualität und Empathie gestuft, den Rahmen bilden Respekt, Geduld und Vertrauen. Zeit in Patientengespräche zu investieren, sieht König langfristig in den meisten Fällen als einen Zeitgewinn.
Was laut einer vom "Club Alpbach Medica" heuer in Alpbach durchgeführten Umfrage die dort Befragten als wichtig in Arztgesprächen nannten, überrascht nicht: Vertrauen und gegenseitige Achtung, Kompetenz und eine positive Einstellung des Arztes, dass dieser seine Zeit und Aufmerksamkeit widmet, Verständnis zeigt, Befunde verständlich erklärt und fähig ist, Hoffnung zu geben.