Die Betroffenen steigen auf die Barrikaden: Seit Jahren gibt es "Rheuma-Medikamente", deren Nebenwirkungsraten ähnlich jenen von Placebos sind. Doch in manchen Ländern Europas verhindern die (Gesundheits-)Politik bzw. die Krankenkassen die Bezahlung dieser COX-2-Hemmer für Arthrose-Patienten oder schränken den Zugang ein. Jetzt machen die Kranken mobil. "Her mit den Medikamenten", heißt es. Das ist das Fazit eines internationalen Symposiums in Brüssel.
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"Wir waren im Frühstücksfernsehen. Da zeigten wir den Film eines blutenden Magengeschwürs. Die Wahlen standen vor der Tür. Um 12 Uhr hat uns der Gesundheitsminister angerufen und gefragt, ob wir noch ähnliche Aktivitäten vorhaben. Um 9 Uhr am Abend wurde die Bezahlung der COX-2-Hemmer für die Patienten beschlossen. Das fängt jetzt mit 1. Juli an. In Norwegen hilft das rund 300.000 Menschen mit rheumatischen Erkrankungen", erklärte Per Aage Bjorke, Präsident des internationalen Arthrose- und Rheuma-Verbandes.
Keine Frage, während die Finanzminister der reichsten Länder der Welt der Bevölkerung ständig klar machen wollen, dass kein zusätzliches Geld für das Gesundheitswesen da ist, proben die Patientenverbände den Aufstand. In Österreich wurden vor wenigen Tagen mehr als 100.000 Unterschriften an Sozialminister Herbert Haupt für die weitere Bezahlung an sich alter Medikamente zur Behandlung von Gedächtnisstörungen etc. übergeben. An ihrer Wirksamkeit gibt es - zum Teil berechtigterweise - auch Zweifel.
Für die modernen COX-2-Inhibitoren aber liegen weitgehend unumstrittene Studien höchster Qualität vor, die für ihre Verwendung sprechen. Insgesamt sind die Patientenproteste aber ein Symptom: Die Betroffenen lassen sich nicht gefallen, dass selbst in den reichsten Staaten plötzlich so getan wird, als wäre für Medizin und Gesundheit kein Geld mehr da.
Neue Medikamente mit weniger Nebenwirkungen
Der Hintergrund: Seit wenigen Jahren gibt es mit den Substanzen Rofecoxib und Celecoxib gegen die Entzündung und den Schmerz wirkende Arzneimittel, die dabei einen genau so guten Effekt haben wie die alten Antirheumatika (z.B. Diclofenac, Acetylsalicylsäure, Ibuprofen, Naproxen). Doch im Vergleich zu diesen millionenfach verschriebenen Medikamenten haben die neuen Substanzen keine schweren Nebenwirkungen auf Magen und Darm.
"Ein bis zwei Prozent der Patienten, die ein Jahr lang herkömmliche (nichtsteroidale) Antirheumatika einnehmen, bekommen schwere Komplikationen. 15 bis 30 Prozent entwickeln Geschwüre, zusätzlich 25 Prozent bekommen Magenweh. Ein bis zwei Prozent bekommen schwere Komplikationen, wie zum Beispiel Magenblutungen. Bis zu 20 Prozent sterben daran", erklärte in Brüssel der spanische Gastroenterologe Univ.-Prof. Dr. Angel Lanas von der Universitätsklinik in Saragossa.
Vor allem blutende Magengeschwüre als Nebenwirkungen des Gebrauchs der "alten" Antirheumatika können lebensbedrohlich werden. Univ.-Prof. Dr. Andrew Moore Anästhesie-Biochemiker von der Universität Oxford: "Jedes Jahr sterben in Großbritannien in Spitälern 2.230 Menschen an solchen blutenden Magengeschwüren durch Antirheumatika. In den USA werden pro Jahr 16.500 Todesfälle darauf zurückgeführt." In Österreich sind es Expertenschätzungen zufolge größenordnungsmäßig 500 Opfer pro Jahr.
Nur für bestimmte Patienten?
Der Grund für die gleich gute Wirksamkeit und die drastisch reduzierten Nebenwirkungen der neuen Antirheumatika: Sie hemmen spezifisch die zweite Variante des Enzyms Cyclooxygenase (COX-2). Diese wird bei entzündlichen Prozessen vermehrt vom Körper gebildet. Die "gute" Variante - COX-1 - schützt den Magen. Die alten Antirheumatika blockieren hingegen neben dem "bösen" COX-2 auch das "gute" COX-1. Die Wirkung auf COX-1 verursacht Magenweh, aber auch potenziell lebensbedrohliche Geschwüre.
Das Problem: Die höheren Kosten der neueren Medikamente halten die Krankenkassen auch in den reichen westlichen Industriestaaten teilweise von der Bezahlung der Mittel ab. Der norwegische Patientenvertreter Per Aage Bjorke, selbst Morbus Bechterew-Patient und auf Antirheumatika seit 1966 angewiesen: "Ich hatte schon vier Magengeschwüre. Die Kombination von Gesundheitsbehörden mit ihren Restriktionen bei der Bezahlung der neuen Medikamente und der Ärzte, die die neuen Substanzen wie die spezifischen COX-2-Inhibitoren für so genannte 'Hochrisiko-Patienten' aufheben wollen, gefährdet die Menschen."
Wissenschaftliche Studien belegen die Überlegenheit der neuen Arzneimittel. Univ.-Prof. Dr. Angel Lanas (Saragossa): "Bei Verwendung von Rofecoxib kam es im Vergleich zu den herkömmlichen Antirheumatika zu einer 88-prozentigen Verringerung der Häufigkeit von Komplikationen im Bereich des Magen-Darmtraktes bei sonst gesunden Personen. Bei besonders Gefährdeten nahm das Komplikationsrisiko (Magengeschwür, Blutung) um 51 Prozent ab. Es gab um 50 Prozent weniger Spitalsaufnahmen wegen solcher Blutungen." Ziemlich skurril erscheint es da erst recht, dass viele Kostenerstatter in den einzelnen Ländern lieber zusätzlich zu den (billigen) alten Antirheumatika auch noch mit der Substanz Misoprostol oder so genannten Protonenpumpen-Hemmern durchaus Arzneimittel zusätzlich zahlen, welche den Magen vor den Rheuma-Medikamenten schützen.
"In Frankreich werden für jeden Franc, der für Antirheumatika ausgegeben wird, noch einmal 0,74 Franc für den 'Magenschutz' durch zusätzliche Medikamente ausgegeben. In Großbritannien sind es pro einem Pfund für die Antirheumatika noch einmal 96 Pence für die zusätzlichen Medikamente," rechnet der Oxforder Experte Univ.-Prof. Dr. Andrew Moore vor.
In Österreich bezahlen die sozialen Krankenkassen seit kurzem die neuen COX-2-Hemmer unter bestimmten Umständen: Der Patient muss über 65 Jahre alt sein, schon einmal ein Magenulkus gehabt haben und darf keine magenschützenden Medikamente bekommen. Gleichzeitig darf der Betroffene keine Herzinfarkt-Prophylaxe mit Acetylsalicylsäure einnehmen.
Moore: "Solche Regelungen sind einfach Unsinn." Der norwegische Patientenvertreter Bjork argumentiert ähnlich: "Warum sollten wir Patienten warten müssen, bis wir ein Magengeschwür haben, um die modernen Medikamente bezahlt bekommen."
Freilich, für die Zukunft sind nicht nur Proteste Rheuma- und Arthrosepatienten zu erwarten. Die Politik, Krankenkassen oder sonstige Erstatter werden den Versicherten genau erklären müssen, warum sie bestimmte Gesundheitsleistungen zahlen, andere aber wiederum nicht.