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"Patienten sind in den Betten verbrannt"

Von Michael Schmölzer

Politik

Die österreichische Psychologin Sylvia Wamser spricht von ihren Erfahrungen in Afghanistan.


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Kunduz. Weltweit finden in Kriegsgebieten Angriffe auf Spitäler statt – oft kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass diese Attacken zielgerichtet sind. Tatsache ist, dass es im Vorjahr einen solchen Angriff auf eine Klinik der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen im afghanischen Kunduz durch US-Kampfflieger gegeben hat. 42 Menschen kamen um, darunter 14 Mitarbeiter der Hilfsorganisation. Die österreichische Psychologin Sylvia Wamser war nach dem Angriff in der Klinik, um Hilfe zu leisten. Sie hat mit der "Wiener Zeitung" gesprochen.

Wiener Zeitung: Wann waren Sie in Kunduz und was haben Sie dort gesehen?

Sylvia Wamser: Ich war direkt nach dem Vorfall dort. Am 19. Oktober des Vorjahres bin ich hingekommen, um die Mitarbeiter zu unterstützen, aber auch die Familien, die Patienten beziehungsweise Angehörige verloren haben.

Wie ist denn die Lage in Kunduz-Stadt gewesen? Noch 2013, kurz vor dem Abzug, war die Bundeswehr, die dort im Rahmen des Nato-Einsatzes stationiert war, sehr stolz, dass alles ruhig ist und man die Lage im Griff hat.

Unser Aktionsradius war limitiert vom Flughafen zum Wohngebäude. Es besteht ja die Gefahr von Entführungen. Auf den Markt gehen, das hat es nicht gegeben. Vom Spital selbst sind nur die Behandlungstrakte zerstört worden, die Operations- und Behandlungsräume. Die sind voll bombardiert worden. Dächer sind eingestürzt, Patienten sind in den Betten verbrannt. Andere Teile, wie der Verwaltungstrakt, sind völlig unberührt geblieben.

Das lässt Rückschlüsse zu...

...auch der neue Patiententrakt, der noch nicht eröffnet war, blieb völlig intakt.

Was haben Sie von den Kämpfen rund um Kunduz mitbekommen?

Das war weiter weg, es war Kampflärm zu hören. Die Leute, die überlebt haben, die hatten Angst. Die haben sich gefragt, ob die oppositionellen Gruppen wiederkommen. Viele haben sich Autos zugelegt, um ihre Familien im Ernstfall woandershin bringen zu können.

Waren die Patienten vor allem wegen Kriegsverletzungen in Behandlung?

Kriegsverletzungen oder Unfälle. Es ist bekannt, dass die Menschen bei Kampfhandlungen versuchen, wegzukommen. Dabei erhöht sich die Zahl der Verkehrsunfälle. Die Straßen sind unsicher, die Beleuchtung ist schlecht und mitunter nicht vorhanden. Es wurden vor allem chirurgische Eingriffe dort gemacht, es gab er auch eine psychologische Abteilung.

Wie sieht das Spital jetzt aus, liegt es immer noch in Trümmern?

Ja, das ist auch ein großes Problem für die Mitarbeiter, die bei dem Anblick retraumatisiert werden. Sie können sich die Zerstörung nicht ansehen. Man hat versucht, Dinge, an denen man sich verletzten könnte, zu entfernen.

Haben sich die USA für den Angriff entschuldigt?

Es gab Kondolenz-Zahlungen für Angehörige, geringe finanzielle Entschädigungen. Alpträume, Essstörungen, Schlafstörungen, extreme Schreckensreaktionen bei metallischen Geräuschen, Angstzustände, Panik-Attacken, Schwindelzustände, Tinnitus, Müdigkeit, Depressionen, erhöhte Aggressivität und Libido- und Potenzprobleme. Das war in einer Männer-zentrierten Gesellschaft wie Afghanistan wichtig, anzusprechen. Den Menschen zu erklären, dass das eine völlig normale Reaktion ist.