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Patientenmorde: "Mitleid als Motiv scheidet aus"

Von Christa Karas

Wissen

Immer wieder verstören Fälle von Patiententötungen nach | deren Aufdeckung die Öffentlichkeit. Und immer wieder wird in der Folge nach dem Motiv gesucht, wobei die Bandbreite von "Überforderung" und "unzumutbaren Arbeitsbedingungen" - wie etwa seinerzeit im so genannten Lainz-Skandal - bis zum "Mitleid", ja nachgerade der "Erlösung" der Opfer von ihren Leiden reicht. Stimmt nicht, sagt der deutsche Fachmann Prof. Dr. Karl H. Beine, der sich als weltweit erster Wissenschafter mit den Motiven von Patiententötungen befasst hat - und von da her mit der Frage, wie diese künftig zu verhindern wären.


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Der wegen des Verdachts auf 29-fache Patiententötung inhaftierte Pfleger Stephan L. aus Sonthofen hat als zentrales Tatmotiv "Mitleid" angegeben. "Er habe schwerstkranken Patienten sinnloses weiteres Leiden ersparen wollen, da keine Aussicht auf Besserung bestanden habe", sagte der für den Fall zustände Oberstaatsanwalt. Ein Motiv, das Prof. Dr. Karl H. Beine, Lehrstuhlinhaber für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universität Witten/Herdecke und Chefarzt am Marien-Hospital in Hamm nicht gelten lässt.

Beine hat insgesamt 20 Fälle von Serientötungen an Patienten in Krankenhäusern und Heimen der letzten Jahrzehnte erfasst und ausgewertet. Mitleid mit leidenden Patienten als Tötungsmotiv, auf das sich Täter immer wieder berufen, scheidet für Beine aus: "Die getöteten Patienten befanden sich nur selten in ihrer Sterbephase", erklärt der renommierte Psychiater.

Das Mitleidsmotiv betrachtet er aus einer anderen Perspektive, nämlich mit der Unfähigkeit der Täter, Leidenszustände aushalten zu können. Es handle sich, so Beine, eher um Selbstmitleid als um wirkliche Anteilnahme am Leiden von kranken Menschen.

Bemerkenswert, so der Experte, sei auch die mit bis zu fünf Jahren oft vergleichsweise lange Latenzzeit zwischen der ersten Tötung und der Entdeckung des Täters - wie offenbar jetzt auch in Sonthofen und in Luzern, wo der Krankenpfleger Roger A. im Jänner 2005 zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Er hatte 22 Patienten ermordet.

Beine kommt nach eingehenden Recherchen zu anderen Schlüssen und entwickelt eine detaillierte Täterpsychologie: Entgegen der landläufigen Annahme, vor allem Frauen seien die Täter, ermittelte Beine, dass es sich vor allem um Männer handelt.

Charakterlich werden diese Männer als überwiegend "selbstunsicher" beschrieben. Auffällig ist, dass sie häufig "unverordnete Medikamente verabreichen". In ihren Arbeitsfeldern sind sie konfrontiert mit langen und unaufgelösten Konflikten.

Beines Ergebnisse lassen Rückschlüsse darüber zu, wie in Zukunft solche Verbrechen vielleicht verhindert werden können. Dabei wird vor allem eines klar: Die in der Öffentlichkeit nach solchen Verbrechen regelmäßig vorgenommene Einordnung der Täter als "Todesengel, Hexen, Monster" gehen ebenso an der Realität vorbei wie die oft vorschnell genannten Tötungsmotive aufgrund schlechter Arbeitsbedingungen oder unkritischer Loyalität zu anderen Mitarbeitern. Was hilft, sei eine Arbeitsatmosphäre, in der das klinische Personal auch "über seine aggressiven Fantasien offen reden kann." Eine solche Kultur der offenen Aussprache sei in Kranken- und Pflegeeinrichtungen bisher jedoch kaum zu erkennen. "Wir sehen uns selbst als gute Menschen und wenn wir aggressiv reagieren, reden wir nicht darüber", erklärt Beine das Phänomen. Auf jeden Fall sollte man hellhörig werden, wenn man bei Kollegen eine "zynische Erstarrung" gegenüber ihrem Beruf erkenne.

Referenz: Karl H. Beine: Homicides of patients in hospitals and nursing homes: A comparative analysis of case series. In: International Journal of Law and Psychiatry 26 (2003), S. 373-386.