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Patt auch bei Mehrheitswahlrecht

Von Gerhard Kneier

Europaarchiv

Trotz Verlusten hätten nur die Groß-parteien profitiert. | FDP wäre durchgefallen. | Berlin. (AP) Die FDP wäre trotz beachtlichem Stimmenzuwachs nicht mehr im Bundestag, die Linkspartei hätte ungeachtet der Verdopplung ihres Stimmenanteils ganze drei Abgeordnete, und die Grünen wären lediglich mit einem einzigen Parlamentarier vertreten: Gäbe es in Deutschland ein Mehrheitswahlrecht, würden davon nur die großen Parteien CDU/CSU und SPD profitieren, die bei der Bundestagswahl am Sonntag ja gerade mit deutlichen Verlusten abgestraft wurden.


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Nach dem unklaren Wahlausgang vom Sonntag sind in den vergangenen Tagen neue Rufe nach Einführung des Mehrheitswahlrechts laut geworden. Bei dem werden etwa in Großbritannien sämtliche Parlamentarier mit einfacher Mehrheit in ihren Wahlkreisen bestimmt. Das nationale Prozentergebnis der Parteien spielt für die Vergabe der Mandate keine Rolle. In Deutschland haben prominente Vertreter aus Industrie, Politik und Wissenschaft eine entsprechende Wahlrechtsänderung gefordert.

Hätte es schon bei der Wahl am Sonntag ein Mehrheitswahlrecht gegeben, gäbe es aber auch noch keinerlei Klarheit über die künftige Bundesregierung: Von den 298 in ihren Wahlkreisen direkt gewählten Abgeordneten gehören nämlich 145 der SPD an, 105 der CDU, 44 der CSU, einer der Grünen und drei der Linkspartei. Es gäbe also ein Patt von 149 Sitzen der Unionsparteien gegen ebenfalls genau 149 von SPD, Grünen und Linkspartei. Mit welchem Supereinsatz CDU und SPD dann um den alles entscheidenden Sitz bei der Nachwahl am 2. Oktober in Dresden ringen würden, kann man nur vermuten.

Würde ihn die CDU gewinnen, hätten die Unionsparteien trotz der mageren 35,2 Prozent vom Sonntag eine absolute Mehrheit. Die wäre allerdings hauchdünn und bei jeder Abstimmung mit nur einem einzigen Abweichler dahin. Gewänne dagegen die SPD das entscheidende letzte Mandat, hätte sie wieder nur eine rot-rot-grüne Mehrheit, mit der sie ja gar nicht regieren will. Das Gerangel um eine neue Koalition wäre also kaum weniger hart, als es jetzt schon ist. Und auch ohne FDP und "Jamaika-Bündnis" würde Schwarz-Grün mit dem einzig direkt gewählten Abgeordneten der Ökopartei, dem Altlinken Hans-Christian Ströbele, wohl kaum zu Stande kommen.