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Politologe Anton Pelinka im Interview zu den Protesten der Studenten. | "Wiener Zeitung": Was läuft falsch im Bildungssystem? | Anton Pelinka: In der der Schule der Zehn- bis Vierzehnjährigen ist Österreich mit dem geteilten System international völlig isoliert. | Der große Tag der Studenten | Grenzenloser Protest gegen Bildungsmisere
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Viele Kinder, die an sich begabt wären, werden wegen ihrer sozialen Herkunft von einer höheren Schule ausgeschlossen. Zweitens zieht die Politik bei den Unis keine logische Konsequenz aus dem an sich ja gewünschten Massenansturm. Die Konsequenz wäre eine Studienplatzbewirtschaftung. Das kann, muss aber nicht Studiengebühren heißen. Ohne Gebühren muss man sich die entsprechende Finanzierung aus der öffentlichen Hand direkt vorstellen.
Braucht es dann Zugangsbeschränkungen?
Ich würde nicht Zugangsbeschränkungen sagen. Aber in einem Gutteil der Welt gibt es nachvollziehbare, transparente Aufnahmesysteme. Das heißt ja nicht, dass die, die nicht genommen werden, nicht studieren können - nur eben vielleicht nicht an dieser einen Uni. Man kann kein qualitativ hochwertiges Studium anbieten, wenn man im September nicht weiß, ob 50 oder 500 das Studium beginnen werden.
Die Besetzer wollen aber keine Studiengebühren und keine Beschränkungen.
Das ist der Widerspruch. Ich begrüße es, dass die Studenten auf ein schlimmes Versagen der Politik aufmerksam machen. Aber zu fordern, dass alle alles kostenlos studieren dürfen, ist natürlich weltfremd, denn eine gute Ausbildung kostet einfach etwas.
Wie konnten die Studentenproteste so rasch auf andere Länder übergreifen?
Die Proteste sind nur auf wenige Länder, vor allem auf Deutschland, übergeschwappt. Es gibt keine Proteste in Großbritannien oder in den USA, obwohl es dort pro Generation mehr Studenten gibt. Die werden offenkundig besser mit einem Massenansturm fertig.
Aber woher kommen die Proteste in Deutschland?
Das deutsche Universitätssystem halte ich für einen ziemlichen Unfug. Der Numerus Clausus ist kein Aufnahmesystem, sondern er schert alle aufgrund der schulischen Leistungen über einen Kamm. Ich bin ein Anhänger des US-Systems, wo die Uni selbst nach transparenten Kriterien bestimmt, wen sie aufnimmt, und nicht eine zentrale staatliche Bürokratie.
Welche Gemeinsamkeiten gibt es zwischen den Protesten der einzelnen Länder?
Es ist offenkundig nicht 1968, weil hier nur ansatzweise so etwas wie eine gesamtgesellschaftliche Agenda durchschimmert. 1968 wollte die Studentenbewegung die Gesellschaft ändern, den Kapitalismus abschaffen und Gerechtigkeit überall und immer einführen. Jetzt sind die Forderungen viel bescheidener, was ich grundsätzlich für gut halte. Denn man wird durch eine Protestaktion im Audimax kaum den Kapitalismus abschaffen. Aber man kann erreichen, dass viele der Lehrenden sich auf dieser Grundlage mit den Studierenden verbünden. Und das halte ich für sehr gut.
Aber fehlt nicht ohne gesamtgesellschaftlichen Anspruch auch die Unterstützung in der Bevölkerung?
Ich glaube nicht, dass die Zustimmung der Bevölkerung steigt, wenn rote Fahnen mit Hammer und Sichel geschwenkt werden. Ich haben nichts dagegen, wenn die Studenten mit den Metallern demonstrieren, ich glaube nur nicht, dass es wirklich etwas bringt.
Wie kommen die Länder aus der Debatte heraus?
In Deutschland ist es wegen der Länderhoheit sehr kompliziert. In Österreich erfolgt der erste Reflex einer bedrängten Politik: Ein bisschen mehr Geld. Das ist ein kleiner erster Schritt. Es müssen auch Strukturen geschaffen werden.
Aber Strukturänderungen sind ja sehr langfristig .. .
Kurzfristig muss man in den problematischen Studienrichtungen wie Publizistik und Psychologie noch mehr Geld in die Lehre investieren. Und dann ist die Politik gefordert. Aber die SPÖ hat sich von der Wissenschaftspolitik abgemeldet und die ÖVP ist nach dem UG 2002 den zweiten Schritt schuldig geblieben, nämlich eine bessere finanzielle Ausstattung. Ich sehe keine Priorität für die Bildungspolitik.