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Pence vs. Harris: Stellvertreterkrieg, schaumgebremst

Von Klaus Stimeder

Politik

Im Vergleich zu ihren Chefs verlief das TV-Duell der Vizepräsidentschaftskandidaten Mike Pence und Kamala Harris relativ friedlich – aber inhaltlich kaum weniger knallhart.


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Die Latte hätte tiefer nicht liegen können. Eine Garantie, sie zu überspringen, gab es im Vorfeld trotzdem keine. Insofern geriet die erste und einzige TV-Debatte zwischen Vizepräsident Mike Pence und Joe Bidens Stellvertreterin Kamala Harris zum Erfolg – einfach nur, weil sie im Gegensatz zu der ihrer Vorgesetzten halbwegs zivilisiert ablief. Von ein paar kleineren Scharmützeln abgesehen, ließen Donald Trumps Nummer zwei und die Vizepräsidentschafts-Kandidatin der Demokraten einander ausreden, hielten sich mit Beleidigungen zurück und fanden mitunter sogar Worte des Respekts füreinander. Was ihre politischen Differenzen anging, schenkten sich der Republikaner aus Indiana und die Senatorin aus Kalifornien, die ihn in seinem Amt beerben möchte, an diesem Mittwochabend im Festsaal der University of Utah indes nichts.

Unter der weitgehend souveränen Moderation von Susan Page, der Leiterin des Hauptstadtbüros der Tageszeitung USA Today, traten schon während der ersten fünfzehn Minuten die Konturen von Pence' und Harris' jeweiliger Strategie hervor. Während ersterer versuchte, letztere als Radikale hinzustellen ("Links von Bernie Sanders!"), mit der kein Staat zu machen sei, konzentrierte sich Harris auf sachpolitische Themen, allem voran auf die öffentliche Gesundheit. Mit diesem Thema war die Debatte losgegangen, wie auch sonst.

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Rund 211.000 Corona-Tote

Die Einlieferung des mit dem Coronavirus infizierten Trump in ein Militärspital dominiert in den USA auch nach dessen Entlassung nach nur drei Tagen die Schlagzeilen – nicht zuletzt, weil seine Leibärzte mit so unzulänglichen wie widersprüchlichen Informationen über seinen Zustand bis heute für Verwirrung sorgen. Während Harris die mannigfachen, allesamt faktisch belegten Verfehlungen der Trump-Administration im Umgang mit dem Virus auflistete (bisher rund 211.000 Corona-Tote, Tendenz steigend), wiegelte Pence nämlich ab, wenn er sie nicht gleich ganz bestritt.

Laut dem 61-Jährigen sei die Reaktion Trumps wie die der von ihm angeführten Task Force nicht weniger als "modellhaft" gewesen, das von Biden kritisierte Reiseverbot für China habe "Millionen Leben gerettet". Zudem hätten sich laut Pence während der Obama/Biden-Präsidentschaft 60 Millionen Amerikaner mit der Schweinegrippe angesteckt und niemand hätte sich aufgeregt. Den Einwand, dass diese mit Abstand weit weniger gefährlich war als es das Coronavirus ist (laut Schätzungen des Centers for Disease Control forderte sie Ende des vergangenen Jahrzehnts insgesamt rund 12.500 Tote), ließ er nicht gelten.

Ein wiederkehrendes Muster: Wie sein Herr im Weißen Haus zeichnete Pence die gesamte Debatte über die USA unter Trump de facto als Paradies. Nie zuvor sei etwa laut Pence – wörtlich – "das Wasser so sauber gewesen" und die "Umwelt und die Menschen so sicher" (In Wahrheit wurden unter keiner anderen Administration der US-Geschichte die Umweltstandards seit ihrer Einführung derart drastisch herunter geschraubt wie unter der jetzigen.) Dieser Garten Eden sei gefährdet, wenn man die Demokraten ihren "radikalen Green New Deal" umsetzen lasse, der ein "Jobkiller" sei, ebenso wie ihre Steuerpolitik. Von Harris Einwand, dass eine Steuererhöhung gemäß Bidens Plan lediglich für Haushaltseinkommen über 400.000 Dollar gelte – das durchschnittliche Jahreseinkommen in den USA lag zuletzt knapp unter 60.000 – ließ sich Pence naturgemäß nicht beirren: "Ihr habt es gehört! Sie werden alle eure Steuern erhöhen!"

Die von Harris angeführte Tatsache, dass Trump selbst fast keine Einkommenssteuer zahlt und persönlich 400 Millionen in der Kreide steht, stört Pence nicht, dafür hat er Angst vor einer Biden-Präsidentschaft, "weil er der Cheerleader des kommunistischen China ist." Harris konterte mit der Feststellung, dass Trump bei den traditionellen Verbündeten der USA als weniger glaubwürdig gilt als Chinas Präsident Xi Jinping und der auf dem Rücken von Landwirten und in der Industrie Beschäftigten ausgetragene Handelskrieg "verloren" sei. Die China-Diskussion bildete quasi den Übergang zu außenpolitischen Themen. Während Pence das anpries, was er und seine Parteifreunde für Erfolge auf der Weltbühne halten – den Ausstieg aus dem Pariser Klimaabkommen und dem Iran-Nuklear-Vertrag, die Verlegung der amerikanischen Botschaft in Israel nach Jerusalem, die Ermordung des iranischen Militärstrategen Kassim Suleimani, die Erhöhung des Verteidigungsbudgets mancher NATO-Mitglieder – fokussierte Harris ihre Kritik auf Trump, der "mehr Wert auf das Wort Putins legt als auf das des FBI".

Fakten-Check

Selbst als bekannt wurde, dass die Russen in Afghanistan ein Kopfgeld auf US-Soldaten ausgesetzt hatten, habe der Präsident stillgehalten. Im Übrigen sei derlei Teil eines Musters von Trumps fortwährender Verunglimpfung der Männer und Frauen in den Streitkräften, die mit seiner Kritik an dem ehemaligen Kriegsgefangenen und nachmaligen Senator John McCain 2015 begonnen und mit den seitdem dokumentierten Sagern ("Trottel und Verlierer") nur ihre Bestätigung erfahren habe. Pence reagierte wie gewohnt: mit abstreiten ("Alles nicht wahr") oder ignorieren der Fakten.

Einem unergiebigen Abtausch über die Frage, ob die Polizei in den USA angesichts von Vorfällen wie dem Mord an Breonna Taylor im März in Louisville und dem von George Floyd in Minneapolis im Mai (der Polizist, der auf seinem Genick gekniet hatte, ist mittlerweile gegen eine Kaution auf freien Fuß gesetzt worden) ein systemisch bedingtes Rassismus-Problem habe, folgte die Abhandlung des derzeit wichtigsten politischen Streitpunkts: dem um die Neubesetzung des Supreme Courts. Nachdem sie 2016 unter Obama noch lautstark argumentiert hatten, dass sich eine solche während eines Wahljahrs nicht ziemen würde, zögerten die Republikaner jetzt keine Sekunde, um die ultrakonservative Richterin Amy Coney Barrett für den seit dem Tod von Ruth Bader Ginsburg verwaisten Sitz vorgeschlagen. Mit ihrer Mehrheit im Senat werden sie die 48-Jährige, wie zuvor schon Neil Gorsuch und Bret Kavanaugh, auf Lebenszeit ins Amt hieven und damit die rechte 6-3-Mehrheit am Obersten Gerichtshof für Generationen zementieren – mit potenziell fatalen Folgen, allen voran für Abtreibungs-, Wahl- und Minderheitenrechte und für die Gesundheitsversicherung Obamacare.

Von Lügen und Halbwahrheiten

Pence, der die Frage, wie er künftig Amerikanern mit Vorerkrankungen helfen will, offen ließ, ist folgerichtig "enthusiastisch" über die Berufung der "Handmaid" – so lautete jahrelang der offizielle Titel Barretts, den sie in ihrer Heimatstadt South Bend, Indiana, als Mitglied einer christlich-fundamentalistischen Gruppe namens "People of Praise" führte. Im Gegenzug blieb Harris eine Antwort auf die Frage schuldig, ob die Demokraten, sollten sie sich nach der Wahl in der Mehrheit befinden, den Supreme Court einfach um ein paar Sitze erweitern würden ("court packing").
Auf Pence' Einwand, dass sie damit die "Spielregeln von Recht und Gesetz ändern" würden, entgegnete Harris so trocken wie bestimmt: "Ich bin die einzige in dieser Runde, die als Staatsanwältin Recht und Gesetz vertreten hat und ich lasse mich von Ihnen nicht belehren." Zum Schluss durfte Pence noch einmal die gesamte Litanei an Lügen und Halbwahrheiten herunterbeten, die ihm Trump aufgegeben hatte ("Das FBI hat 2016 unsere Wahlkampagne bespitzelt", "Die Briefwahl öffnet Wahlbetrug Tür und Tor") und versprühte trotz eines mittlerweile großen Vorsprungs von Joe Biden in den Umfragen Optimismus: "Die gleichen Menschen, die uns 2016 gewählt haben, werden uns wieder wählen."