Pensionisten: Jeder Zweite unter Schock. | Hilfe durch Firmen und Privatinitiativen. | Wien/Wolfurt. "Du redest nicht mit mir." Als Michael Feuerstein im Jahr 2000 in die Pension gewechselt war, hat er diesen Satz oft wiederholt. "Meine Frau hat mich nicht beachtet, mein Problem nicht verstanden."
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Damals, vor acht Jahren, war es ruhig geworden im Leben des ehemaligen Abteilungsleiters. Früher sei er ein gefragter Manager gewesen, sagt Feuerstein. "23 Jahre habe ich in der Vorarlberger Firma Doppelmayr gearbeitet. Als ich mich aber in die Pension verabschiedet habe, bin ich in ein Loch gefallen." Ratlos sei er daheim "herumgesessen". Der Grund: Er wurde nicht mehr gebraucht.
Tausende sind betroffen
Das Schicksal, an dem Feuerstein damals fast zerbrochen wäre, traf und trifft auch Tausende andere Pensionisten. Wie Studien belegen, kommen etwa 50 Prozent der Neo-Pensionisten mit ihrem "dritten Leben" nicht klar. Der 86-jährige Unternehmensberater und Pensionist Herbert Bader: "In der vorindustriellen Gesellschaft hatte der ältere Mensch Funktionen innerhalb der Familie zu erfüllen und war durch diese finanziell abgesichert." Heute würde diese Absicherung durch den Staat organisiert - den Funktionsverlust müsse der Betreffende aber persönlich bewältigen. Viele verlieren den Kontakt zu Arbeitskollegen, den Tagesablauf sowie ihre Stellung.
"Anerkennung ist sehr wichtig, insbesondere wenn man im Beruf erfolgreich war", bestätigt auch Ex-Versicherungsvorstand Josef Redl, der im Alter von 62 Jahren vom Arbeitgeber "freigestellt" und in den Ruhestand geschickt worden war. "Es war eine Zäsur", sagt der begeisterte Alpinist am Mobiltelefon offen. Der Bergwind rauscht in der Hörmuschel. Redl hat das Handy auf die Tour mitgenommen. "Ich hatte gut ein halbes Jahr mit der neuen Situation zu kämpfen", gibt er keuchend zu. Die habe er aber dank externer Unterstützung gut gemeistert. Denn kurz vor seiner Pensionierung sei er in einem Seminar vorbereitet worden, sagt Redl. Die Berater hätten ihm "Alternativen" für sein "drittes Leben" aufgezeigt und empfohlen, sich trotz Pension geistig weiterzuentwickeln. Heute fungiert Redl als ehrenamtlicher Präsident des Finanzmarketingverbands (FMV).
Seminare für angehende Pensionisten hätte es früher in vielen Firmen gegeben, bestätigt Leopold Stieger, Gründer der Initiative "seniors4success" in Wien. Aber seit die Politik ihre "Verdummungskampagne" gestartet habe, sei die Nachfrage rapide gefallen. Indem man die "teuren Alten" vorzeitig entlassen und durch billige Junge ersetzt habe, seien Pensionisten ab 59 Jahren besonders betroffen.
Als Sargnägel fungieren die politischen Seniorenvertreter: "Die sagen: Hauptsache, den Leuten geht es gut und sie genießen ihre Pension", ärgert sich der Ex-Manager. Dabei sei es gerade im Ruhestand wichtig, "sein Hirn in die Hand zu nehmen" und sich intellektuell zu beschäftigen. "Alte Menschen haben zwei Möglichkeiten", glaubt er, "entweder sie rasten, mit der Gefahr, zu rosten, oder sie bleiben aktiv und nützen ihre Erfahrung, um so die Welt zu verändern." In die Pflicht nehmen müsse man auch die Firmen. Diese sollten ihre älteren Mitarbeiter "altersgerecht" einsetzen und auch nach deren Ausscheiden "aktiv trachten, ihr Potenzial zu nützen und die Verbundenheit mit dem Unternehmen zu erhalten."
Zu jenen Firmen, die diese Vorgabe (noch) pflegen, zählt der Bergbahnhersteller Doppelmayr. Dafür ist Feuerstein inzwischen sehr dankbar. Als es ihm nach der Pensionierung schlecht ging, habe er sich an das Unternehmen gewandt. Mit Erfolg: Im Jahr 2005 rief Doppelmayr das erste Vorbereitungsseminar für Pensionisten ins Leben.
Initiator Dietmar Moosbrugger: "Wir begleiten die Menschen in den neuen Lebensabschnitt und wollen die Problematik bewusst machen." Auch die Partner der Teilnehmer würden zu den Beratungen herangezogen, erzählt er.
Für Feuerstein geschah dies nicht ohne Hindernisse: "Meine Frau wollte zu den Treffen nicht mitkommen. Sie hat gemeint, dass ich derjenige sei, der ein Problem hat." Nicht auszuhalten sei es gewesen, wenn er daheim ihre Aufmerksamkeit forderte und sich in die Haushaltsführung einmischte. Heute sei er im Unternehmen integriert, besuche den FirmenStammtisch, feiere mit Kollegen Geburtstage und würde als Experte geschätzt.
Fünf Pensionistentypen
Bei Pensionisten wie Feuerstein oder Redl handelt es sich um "Anknüpfer", die ihr Wissen der Firma zur Verfügung stellen, sagt Stieger. Diese Menschen wollen gebraucht werden und davon profitieren beide.
Zu den Aktiven zählen auch die "Neustarter", die im Ruhestand einen neuen Beruf ergreifen und etwa eine Imkerei aufbauen. Hinzu kommen laut Stieger die "Weitermacher" (Künstler) und "Nachholer" (Seniorenstudenten), die ihren Lebensabend für sinnvolle Aktivitäten nützen.
Negativ betroffen seien aber die "Genießer": "Die freuen sich auf die Pension und einen ewigen Urlaub. Tatsache ist aber, dass diese Gruppe schwere Probleme hat, um mit der neuen Situation fertig zu werden."
"Was wir brauchen, ist eine positive Einstellung zur und eine rechtzeitige Vorbereitung auf die Pension", sagt Bader, "wir warten schon so lange, aber niemand tut etwas." Seniorenvertreter signalisieren vorsichtig Interesse. So will der Pensionistenverband (SPÖ) auf moderne Altersteilzeitmodelle, mehr Kommunikation und Beratung setzen. Eine gesetzliche Verpflichtung von Unternehmen zu vorbereitenden Pensionskursen kann sich indessen der ÖVP-nahe Seniorenbund vorstellen.
Bis es soweit ist, wollen Bader und Stieger mit ihren Initiativen weiter für die Bewusstmachung des Problems der "geistigen Verblödung" kämpfen. Leider würden gerade Führungskräfte diese Erkenntnis verdrängen und den Ernst der Lage leichtfertig abtun.
Dass Vorbereitungsseminare fruchtbringend sind, weiß auch Josef Redl oberhalb der Baumgrenze. "Früher hatte ich Gewissensbisse, weil ich nicht gearbeitet habe", japst er ins Telefon, "jetzt bin ich mit Terminen eingedeckt. Wie früher."
Dr. Herbert Bader
Kontakt: 0664 4649831
Seminare: 10-15 Teilnehmer
Kosten: 1500 Euro p.P.
Dr. Leopold Stieger
Kontakt: 0699 18885534
www.seniors4success.at