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Pensionistenbrief: Nicht die feine Klinge, aber bezeichnend fürs Klima

Von Walter Hämmerle

Analysen

Österreichs Journalisten verbüßen ihr Fegefeuer schon hier auf Erden. Mit erschreckend anmutender Verlässlichkeit wiederkäuen die Politik und deren Kommentatoren die selben Themen in regelmäßig wiederkehrenden Abständen. Dem täglichen Murmeltier-Fluch entkommt man auch hierzulande nicht allzu leicht.


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Nach Politiker-Einkommen, Parteispenden, Neutralität, Schulreformen, Postenschacher, Inseratenkampagnen - jetzt also wieder einmal Aufregung um einen Pensionistenbrief wie weiland 1995, als Bundeskanzler Franz Vranitzky unmittelbar vor den Wahlen sichere Pensionen versprach.

Zuerst zu den Fakten:

Die Regierung hat die Pensionen - entgegen dem Rat zahlreicher Experten - kräftiger erhöht als ursprünglich vorgesehen;

mit rund 2,1 Millionen Wahlberechtigten entscheiden die Pensionisten über den nächsten Wahlsieger;

Politik funktioniert nach dem Motto: "Tue Gutes und rede darüber" - notfalls reicht eben auch ein Brief aus;

der Pensionistenbrief Vranitzkys hat funktioniert, war er doch mitentscheidend für den Wahlsieg der SPÖ 1995. Einziger, freilich nicht ganz irrelevanter Schönheitsfehler: Vranitzky konnte nicht halten, was er versprochen hatte - 1996 wurde der Krankenversicherungsbeitrag der Pensionisten um nur 0,25 Prozent erhöht, 1997 fiel die Pensionsanpassung überhaupt ins Wasser.

Seitdem haftet blauäugigen Politiker-Versprechen an gutgläubige Pensionisten ein gewisser degoutanter demokratiepolitischer Beigeschmack an. Doch wer in dieser Frage ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein . . .

Es mag also nicht die feine Klinge sein, dass Bundeskanzler Alfred Gusenbauer nun die kräftigere Pensionserhöhung für seine SPÖ reklamiert und die Vorgängerregierung für ihre Reformpolitik prügelt. Zumal sich kaum ein ernsthafter Experte findet, der diese nicht für dringend notwendig erachtet hätte. Aber erstens hat er sich dafür in seine Zweitrolle als SPÖ-Vorsitzender begeben. Und zweitens hat er mit der ÖVP diesbezüglich auch keine Waisenkinder neben sich auf der Regierungsbank sitzen. Rot und Schwarz bleiben sich in Sachen Untergriffigkeit nichts schuldig.

Diesen Stil mag man bedauern, aber so lange sich daran die Hoffnung knüpft, den nächsten Wahltag als Sieger zu beschließen, wird sich daran nichts ändern. Und wer sich als Bürger mit Grausen von diesem Schauspiel abwendet, hat als Erster verloren. Oder ist schon wieder vergessen, dass der Sieg in politikverdrossenen Zeiten über die Demotivation der Anhänger der Gegner führt?

Im Übrigen sagt der Brief weniger über die künftige Pensionspolitik aus als über das Klima in der Koalition. Von einem gemeinsamen Wir sind beide Partner wider Willen weit entfernt. Daran wird sich auch bis zu den Wahlen nichts mehr ändern. Seite 4