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Der Kampf gegen die Organisierte Kriminalität wird härter. Neben Rasterfahndung und Lauschangriff, kommen auch Kronzeugen ins Spiel, um dunkle Netzwerke zu knacken. Dabei stürzen gerade Kronzeugenregelungen Justiz und Polizei in ein Dilemma: Ist es gerecht, wenn die härtesten Burschen freigehen, bloß weil sie sich bei der Behörde einweimberln?
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Als der berüchtigte Mafiaboss Giovanni Brusca, Auftraggeber des Mordes an Mafia-Jäger Giovanni Falcone, im Jahr 2000 den Status eines Pentito, eines "reuigen Kronzeugen" erhalten sollte, brach in Italien ein Sturm der Entrüstung los. Brusca, einer der "unmenschlichsten und blutrünstigsten Mafiabosse" sollte nicht mehr den strengen Haftbedingungen eines verurteilten Mafiosi unterliegen und künftig sogar monatlich 10.000 S staatliche Unterstützung kassieren. Der Pate, der den 13-jährigen Sohn eines Rivalen ermordet und dessen Leiche in Säure aufgelöst hatte, wurde als glaubwürdiger Mitarbeiter der Justiz bezeichnet.
Rund 6.000 Pentiti gibt es in Italien. In Deutschland sollen sich 650 Kronzeugen aufhalten, die USA zählen 7.000 Kronzeugenfälle mit über 15.000 Schutzpersonen. Mit Hilfe von Zeugenschutzprogrammen untergetaucht, ausgestattet mit neuen Papieren, wurde es erst durch die Aussagen dieser Kronzeugen möglich, Informationen über die Struktur krimineller Organisationen und über deren Rauschgift- und Waffengeschäfte zu bekommen.
Auch in Österreich, das von mafiösen Bluttaten bisher weitgehend verschont blieb - sieht man von Einzelfällen wie dem Mord am mutmaßlichen Mafia-Paten Sanikidse ab - gibt es seit dem 1.1.1998 eine Regelung, die geständigen Mittätern Strafmilderung verspricht: §41 StGB - die sogenannte Kleine Kronzeugenregelung - erlaubt für bestimmte Delikte, die in Zusammenhang mit organisierter Kriminalität stehen, die Unterschreitung der gesetzlichen Mindeststrafe.
Angewandt wurde §41 etwa im Gefolge der konzertierten Polizeiaktionen gegen die Drogenkriminalität - Stichwort Operation Spring - vor etwa einem Jahr.
Freilich ist jede Kronzeugenregelung ein zweischneidiges Schwert: "Zwar ist sie ein offenbar notwendiges Instrument, um kriminelle Strukturen aufzudecken", erläutert etwa der Leiter des Instituts für Strafrecht an der Uni Wien, Frank Höpfel, "sie kann aber auch zu falschen Belastungen führen". Nichts sei nämlich schöner, als durch Anschwärzung anderer den eigenen Kopf aus der Schlinge zu ziehen, warnt der Strafrechtler.
Werner Pleischl, Jurist im Justizressort, hält Kronzeugenregelungen vor allem im Vorbereitungsstadium einer Straftat für sinnvoll: "Es geht darum Anreize für das einzelne Mitglied einer kriminellen oder terroristischen Organisation zu schaffen, abzuspringen, bevor etwas passiert."
"Helmi" und die MRK
Prekär wird es freilich, wenn zur Kronzeugenregelung Anonymisierung der Zeugen oder sogar deren Unkenntlichmachung tritt. Bei einer Zeugenaussage sei nicht nur wichtig, was der Zeuge sagt, erklärt Pleischl: "Nonverbales Verhalten, Mienenspiel sind ebenso von Bedeutung." Eine Zeugenaussage gewinne an Wert, wenn "ein Mensch mit seinem Namen, seiner Aussage und seinem Aussehen für etwas einsteht." Was bei einer Aussage eines mit Motorradhelm unkenntlich gemachten "Kronzeugen" - wie bei den Operation Spring-Prozessen - nicht der Fall war.
Folgerichtig hagelte es Proteste von Rechtswissenschaftlern über die Richterschaft, bis hin zu den Verteidigern. Mit gutem Grund: Gibt doch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg mit seiner Judikatur genaue Richtlinien für ein faires Verfahren vor: So geht es vor allem um eine gerechte Balance zwischen Verteidigerrechten einerseits und Schutzrechten für die Zeugen andererseits.
Eigentümlichkeiten . . .
Anonyme Zeugenaussagen stehen nur dann in Einklang mit der Menschenrechtskonvention, wenn der Verteidiger das Recht hat, Fragen zu stellen und auch die Mimik des Zeugen beobachten kann. Laut Strassburg darf sich ein Urteil ferner nicht ausschließlich auf die Aussage eines anonymen oder gar vermummten Zeugen stützen.
Schutz der Kronzeugen im Prozess und Strafmilderungen sind die eine Seite - die andere Seite ist, was mit den geläuterten Missetätern nach dem Prozess passiert. Was der geneigte Kinogeher aus zahllosen US-amerikanischen Action-Filmen kennt - dass nämlich der Zeuge unter massivem Polizeischutz und mit einer neuen Identität irgendwo versteckt wird, ist in Österreich Neuland.
Günther Marek ist Stv. Leiter jener Abteilung im Innenministerium, die sich seit dem 1. August 1999 mit dem Zeugenschutz befasst. Unter Einbindung von Gendarmeriekommandos und Alarmabteilung werden Menschen geschützt, die aufgrund ihrer Zeugenaussagen besonders gefährdet sind. Wie viele Kronzeugen derzeit in Österreich betreut werden, will Marek freilich nicht verraten. Durch die europaweite Zusammenarbeit landen "einige" Kronzeugen auch in Österreich. Ganz zufrieden ist Marek mit dem österreichischen Zeugenschutz nicht.
Denn - anders als in allen anderen Ländern mit Zeugenschutzprogrammen - gebe es hierzulande keine gesetzliche Grundlage, den Zeugen eine neue Identität zu verschaffen: "Österreich hat damit keine Sonderlösung, sondern gar keine Lösung", wundert sich Marek und hofft, dass die Bemühungen des Innenministeriums, die unbefriedigende Situation zu ändern, bald Früchte tragen.