Zum Hauptinhalt springen

Per Knopfdruck Stimulation im Kopf

Von Martin Poltrum

Wissen

Morbus Parkinson längst nicht einziges Anwendungsgebiet. | Plus: Betroffene steuern die Therapie weitgehend selbst. | Bedenken: Zur Leistungssteigerung auch bei Gesunden? | Wien. Seit rund 15 Jahren werden zur Behandlung der Parkinsonkrankheit Hirnschrittmacher eingesetzt. Immer mehr Versuche, die Tiefenhirnstimulation auch bei anderen Erkrankungen anzuwenden, zeigen gute Erfolge. Mit dem Aufkommen dieser Neurotechnologie ergeben sich aber neue medizinethische Fragestellungen, die kontroversiell debattiert werden.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 16 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Die ersten Symptome der Parkinsonkrankheit, von der rund 16 von 10.000 Menschen betroffen sind und die vorwiegend zwischen dem 55. und 65. Lebensjahr beginnt, sind sehr unspezifisch. Wenn die typischen Symptome Muskelsteifigkeit, Zittern und die generelle Verarmung aller Körperbewegungen auftreten, dann ist der Haushalt des Botenstoffs Dopamin schon gravierend gestört. Dopamin ist jener Neurotransmitter, dem die Steuerung und Koordination des menschlichen Bewegungsapparates zufällt.

Vor allem in der Spätphase der Erkrankung, wenn die Medikation nicht mehr greift oder es durch die dann erforderlichen hohen Dosen zu unwillkürlichen, oft großflächigen Überbewegungen kommt, kann die Implantation eines Hirnschrittmachers helfen. Das Einsetzen eines Hirnschrittmachers zur Tiefenhirnstimulation (THS) erfordert eine sehr aufwendige, mehrstündige Operation, bei der über kleine Bohrlöcher im Schädel elektrische Sonden ins Hirn eingeführt werden.

Über einen Impulsgeber, den man unterhalb des Schlüsselbeins einpflanzt, wird mittels einer elektrischen Hochfrequenz-Dauerstimulation auf die gestörte Nervenzelltätigkeit in den betroffenen Hirngebieten Einfluss genommen.

Eine neue Gerätegeneration von Hirnschrittmachern, deren Batterie nun nur mehr alle neuen Jahre ausgewechselt werden muss, ermöglicht den Patienten innerhalb einer vom Arzt vorgegebenen Grenze, selbst die Intensität der Stimulation vorzunehmen, und bietet damit die Möglichkeit sich und seine Hirnsonde verschiedenen Alltagssituationen anzupassen. Pessimistischer formuliert heißt das: Man kann zwischen den verschiedenen Nebenwirkungen selber wählen. Der Innsbrucker Neurochirurg Univ.-Prof. Wilhelm Eisner beschreibt dies affirmativ: "Bei Programm eins ist zum Beispiel das Gehen und sich Bewegen hervorragend, aber die Sprache krankheitsbedingt leise. Bei Programm zwei ist das Sprechen optimal und das Bewegen nicht ganz so gut wie bei Programm eins."

Das Leben mit einem Hirnschrittmacher

Als Helmut Dubiel ein Jahr nach der Operation plötzlich die Möglichkeit offen stand, zwischen besser sprechen oder besser gehen zu wählen, stellte er fest, dass er damit wie auf Knopfdruck auch die tiefe Depression, in der er sich befand, ein- und ausschalten konnte. "So faszinierend wie erschreckend war vor allem, dass die Depression von mir abfiel, so als sei ein eisernes Band um meine Seele gesprungen. Faszinierend war die Leichtigkeit dieses Vorgangs. Ein Knopfdruck, bestätigt durch ein kaum hörbares digitales Piepsen, unterstützt von einer winzigen Leuchtdiode, öffnete schlagartig den mir verhangenen Himmel. Freunde, die ich anrief, meinten, ich wäre frisch verliebt, so fröhlich muss ich geklungen haben."

Dubiel ist Professor für Soziologie und hat seit 14 Jahren Parkinson. In seinem Buch "Tief im Hirn. Mein Leben mit Parkinson" beschreibt er traurig, stolz und klug den Kampf damit. Sehr persönlich, aber auch mit Distanz und philosophischen Reflexionen erzählt er, wie es ist, mit einem Körper zu leben, der die Verfügbarkeit verweigert.

Es ist ein Bericht über Ängste und Depressionen, aber auch eine kleine Geschichte des Glücks, wie sich das Leben ändert, wenn nichts mehr selbstverständlich ist. "Ich habe mich in den letzten Monaten - mit einigem Erfolg - darum bemüht, die positiven Bestände meines Lebens zu sichern, statt zu beklagen, was ich nicht mehr habe oder kann. So habe ich begonnen, mich mit dem Schrittmacher auszusöhnen. Er gibt mir Beweglichkeit und Energie. Ich kann ihn jetzt akzeptieren, weil ich mir häufiger die Freiheit nehme, ihn abzustellen. Dann kann ich (wenn auch nur für zwei Stunden) denken und reden und die Gedanken beim Reden verfertigen, ganz wie früher, so als sei nichts geschehen."

Mensch, Maschine und Grenzüberschreitung

Neben Parkinson gibt es eine Reihe von psychisch-neurologischer Erkrankungen, bei der ein Schrittmacher ebenfalls helfen kann. Diskutiert wird unter Fachleuten auch, ob nicht die sogenannten "stoffgebundenen Abhängigkeiten" über THS beeinflusst werden könnten. Angeblich gibt es bereits die ersten Berichte über erfolgreiche Remissionen bei langjähriger Alkohol-, Nikotin- und Heroinabhängigkeit.

Dies wirft gegenwärtig einige medizinethische Fragestellungen auf und generell scheint die Schnittstelle Mensch-Maschine infolge der neuen Technologie eine sensible Zone zu markieren. Schließlich wird ja in dasjenige Organ eingegriffen, das wie kein anderes das spezifisch Menschliche auf körperlicher Ebene repräsentiert. Es werden dabei nicht nur motorische Prozesse beeinflusst, sondern auch kognitive und emotionale Wirkungen erzielt. Die damit verknüpften ethischen Fragen berühren die Themen "Gesundheit, Lebensqualität und personale Identität", so Christiane Woopen, Medizinethikerin und Mitglied des nationalen Ethikrates in Deutschland.

Vor allem die gefährliche Grenze zwischen krankheitsbezogener Therapie und dem sogenannten Enhancement, der krankheitsunabhängigen Steigerung von Funktionen und Leistungen, sei einmal mehr berührt. Die Frage, ob es legitim ist, kognitive und emotionale Fähigkeiten mit Hilfe von Neurotechnologien bei Gesunden zu verbessern, wird heftig debattiert. Warum soll man nicht auch Menschen ohne krankheitswertige Störungen durch Medikamente oder Neurotechnologien z. B. die Möglichkeit geben, ihre Konzentration zu steigern, fragen die Technikoptimisten.

Es gibt keinen Grund, Menschen zu perfektionieren, antworten die Gegner. Derzeit ist nichts zu befürchten, dennoch beunruhigt Medizinethiker diese Entwicklung. Ihre Sorge: Geht die Entwicklung unserer Leistungsgesellschaft da hin, dass man durch den wachsenden Markt an Medikamenten und Technikprothesen genötigt wird, alle menschlichen Funktionen ins Übermenschliche zu steigern? Kann man sich in 50 Jahren mit dem nötigen Kleingeld einen Hirnschrittmacher implantieren lassen, um als 60-Jähriger dieselbe kognitive Leitung wie ein 30-Jähriger zu erbringen? Steht man dann sogar unter dem Druck, das tun zu müssen, um am Arbeits- und Freizeitmarkt mithalten zu können?

Helmut Dubiel: Tief im Hirn. Goldmann Verlag. 7.95 Euro.