)
Auch Handschriften, Filme, Fotografien und Objekte bald im Internet. | "Qidenus Technologies" baut Maschine zum automatischen Einscannen. | Brüssel/Wien. Die EU-Kommission hat Großes vor: Bis 2010 sollen mehr als sechs Millionen Bücher, Handschriften, Filme, Fotografien und Objekte aus möglichst vielen europäischen Bibliotheken, Archiven und Museen über ein einziges Online-Portal zugänglich gemacht werden. Hintergrund dieses Plans für eine "Europäische Digitale Bibliothek", die sich mit schon bestehenden Internet-Bibliotheken der EU-Mitgliedsländer vernetzen soll, ist die Sorge um alte Bestände. Denn nicht nur in heimischen Archiven lagern wahre Schätze aus vergangenen Jahrhunderten, die vom Herumstehen auch nicht besser werden. Und die Digitalisierung bedeutet nicht nur eine massive Erleichterung der Suche, sondern euch ein Schonen des Materials beim Nachschlagen.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 17 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
"Stellen Sie sich vor, Sie müssen nicht mehr von Bibliothek zu Bibliothek und von Archiv zu Archiv pilgern, sondern werfen einfach daheim per Mausklick einen Blick in diese oder jene Handschrift aus dem 18. Jahrhundert", schildert Sophie Quidenus die rosige Zukunft der Digitalbibliothek. Ihr ist umso mehr an der Realisierung des EU-Projektes gelegen, weil sie mit ihrem "Qiscan" ordentlich mitmischen will. Das Gerät kann nämlich vollautomatisch Bücher umblättern und direkt einscannen, was eine enorme Erleichterung für die betroffenen Bibliothekare darstellt.
Die Vermarktung als Industriemaschine übernimmt die Jungunternehmerin - mit 21 Jahren hat sie 2005 ihre eigene Firma gegründet - selbst, an der Entwicklung und Produktion arbeiten fünf Teams (Optik, Beleuchtung, Mechanik, Elektronik, Software) zu je fünf bis zehn Mitarbeitern. Unter dem Namen "Qidenus Technologies" firmiert also in Wien-Döbling ein ambitioniertes österreichisches Kleinunternehmen.
Vom Notenumblättern zur Bücherdigitalisierung
Und die zweijährige Erfolgsgeschichte hat bereits im Vorjahr erste Früchte getragen: Damals wurde "Qivinci" auf den Markt gebracht, ein vollautomatisches Notenumblättergerät, das bereits in zahlreichen Konzertsälen zum Einsatz gekommen ist. Das grundlegende Konzept beruht auf den Blätterfähigkeiten des menschlichen Daumens, erklärt Quidenus, "davon haben wir uns bei der Konstruktion leiten lassen; der Qiscan hat allerdings nur wenig mit diesem Modell gemeinsam". Schon das erste Produkt wurde gemeinsam mit dem Tiroler Erfinder Alfred Jakes auf den Markt gebracht, und die Zusammenarbeit soll, so die Firmenchefin, "auf jeden Fall fortgeführt werden".
Für "Qivinci" bekam das Jungunternehmen damals die "Startup"-Unterstützung der Wiener Wirtschaftskammer. Bei "Qiscan" gibt es hingegen keine Subventionen mehr. "Wir sind leider schon zu erfolgreich", schmunzelt Quidenus. Ein Vorteil ihres kleinen Unternehmens sei die Flexibilität, meint sie: "Wir können auf praktisch jede Situation reagieren und den interessierten Bibliotheken jeweils ein für beide Seiten faires Angebot machen." Denn kaufen wird den mit rund 100.000 Euro veranschlagten Blätter-Scanner, der pro Stunde bis zu 1500 Seiten einliest, wohl nicht jede heimische Institution; die Lösung wird also oft Leasing lauten.
Interessantes Detail am Rande: Alte Bücher, die nicht restauriert wurden, sind für das Gerät einfacher zu handhaben. Erfahrungsgemäß wird allerdings der Aufschlagwinkel kleiner, je älter die Werke sind. Bücher aus der Zeit um 1750 etwa lassen sich meist nur knapp 60 Grad weit öffnen. "Die Qiscan-Kameras sind aber so konzipiert, dass so gut wie alle Bücher gut eingelesen werden können", ist Quidenus überzeugt. Ihr Produkt will sie bei der Cebit-Messe in Hannover im März 2008 erstmals der Öffentlichkeit präsentieren. Bis dahin ist auch noch Zeit, um letzte Kinderkrankheiten des Geräts auszumerzen.
Ungeklärtes Urheberrecht für Werke des 20. Jahrhunderts
Ein großes Fragezeichen hängt allerdings über der gesamten Digitalisierungsaktion der EU, deren Kosten auf 200 bis 250 Millionen Euro geschätzt werden. Den Experten bereitet nämlich das Urheberrecht Kopfzerbrechen, das für Werke des 20. Jahrhunderts gilt.
Ob die digitalisierten Inhalte den EU-Bürgern dann gratis oder kostenpflichtig zur Verfügung gestellt werden, müssen die einzelnen EU-Mitgliedstaaten noch klären. Und auch die Haltbarkeit der Trägermedien könnte ein Problem sein, meint Hans Petschar, der in der Österreichischen Nationalbibliothek (ÖNB) für das inhaltliche Konzept der digitalen Bibliothek verantwortlich ist: "Das beständigste Erhaltungsmedium ist immer noch Pergament, gefolgt von gutem Papier. Kein einziges digitales Medium kann diese Langlebigkeit für sich verbuchen."
Allein die ÖNB gibt für die Digitalisierung ihrer alten Bücherbestände rund 120.000 Euro pro Jahr aus - dazu kämen jährliche Infrastrukturkosten von fünf Millionen Euro aufwärts, meint Petschar. Und er ortet noch eine weitere Problematik: In den verschiedenen EU-Ländern dominieren unterschiedliche Soft- und Hardware, sodass die Inhalte auf ein neutrales Format gespeichert werden müssten, um sie zugänglich zu erhalten. "Oder man müsste auch die dazugehörige Soft- und Hardware aufheben. Eine digitale Bibliothek hat jedenfalls einen Kostenfaktor hoch zehn gegenüber konventionellen Bibliotheken des 19. Jahrhunderts."
Quidenus und ihre Mitarbeiter brauchen sich über derartige Fragen aber nicht den Kopf zu zerbrechen. Schließlich liefern sie lediglich die Basistechnologie - was die Nutzer dann letztlich mit dem "Qiscan" anfangen, ist eine andere Geschichte.
Mehr im Internet: www.qidenus.com