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Wer 310 Jahre auf dem Buckel hat, dem bleibt eigentlich ohnehin nur noch eines: Permanente Revolution. Seit Anfang 2010 – nach 307 Jahren – gab es einen Relaunch im "Hauptblatt", also der Tageszeitung – inklusive Implementierung einer täglichen Integrationsseite, dazwischen eine kleinere Änderung. Plus: In Summe drei Relaunches der Beilagen "ProgrammPunkte" und "Wiener Journal". Wesentlich natürlich die Blattreform im September 2012, die Wirtschaft nicht mehr als singuläres Ressort-Ereignis definiert, sondern als Querschnittsmaterie der gesamten redaktionellen Arbeit. Noch wesentlicher (für die anstehenden 310 Jahre) die komplette Neugestaltung unserer Online-Ausgabe www.wienerzeitung.at im Jahr 2011, und die laufende Arbeit an einer neuerlichen Verbesserung. Dass in der "Wiener Zeitung" die Redaktion print und online auf Augenhöhe, abgestimmt und in gemeinsamen Konferenzen die Geschichten erzählen, sei nur erwähnt. (Das Thema ist gerade sehr en vogue. Andere Medien machen daraus ein Konzept. Wir machen es einfach.)
Das klingt super, furchtbar innovativ und zukunftsträchtig – und ist es auch. Dabei stellen uns die 310 Jahre durchaus hie und da ein Haxl. Die "Wiener Zeitung" ist bisher länger in monarchischen als in republikanischen Zeiten erschienen. In einem Land wie Österreich wiegt das schwer, schwerer als Innovationsfähigkeit. Sogar innovative Caterer, die Wiener Nobelkonditoreien erwarben, bleiben dort beim Schriftzug "k.u.k Hofzuckerbäcker" – in Österreich ein nahezu unschlagbares Gütesiegel.
Die "Wiener Zeitung", die als "Wiennerisches Diarium", 1703 ausgestattet mit "mit Ihro Römischen Kayserlichen Majestät allgnädigsten Privilegio", erstmals publiziert, schleppt das "k.u.k" also auch irgendwie mit sich herum. Für jemanden, der gerade erlebt, dass sich Journalismus fundamental verändert und neu definiert, ist das schwer zu nehmen. Die digitale Medienwelt assimiliert die analoge (oder umgekehrt, ich will nicht streiten). Da ist ein k.u.k-Nimbus das letzte, was man sich wünscht.
Es bleibt also die permanente Revolution. Denn wer so viel Staub der Geschichte mit sich herumträgt, kann auch mit größeren Staubsaugern arbeiten – und damit größere Fortschritte erzielen. Natürlich ist es für eine Redaktion nicht selbstverständlich, europäische sowie gesellschafts- und wirtschaftspolitische Dimensionen quasi bei jedem Thema mitzudenken. Es gibt sie aber, und gute Zeitungen erzählen die ganze Geschichte. Jede aktuelle Information hat eine Vorgeschichte und Auswirkungen – alles zusammen macht die ganze Geschichte. Und sie erleichtert es Lesern/Usern-Leserinnen/Userinnen die aktuelle Information einzuschätzen und besser zu verstehen. Unsere "Dossiers" auf online und der Europa-Schwerpunkt (www.wienerzeitung.at/nachrichten/europa/ sind die digitale Entsprechung dazu. Die Werbe-kampagne mit dem Slogan "Zusammenhänge verstehen." tragen dieses Selbstverständnis in den Markt hinaus.
Und da global und regional unzertrennliche Begriffspaare sind, meinen wir, dass unser (mit der Blattreform entstandener) Wien-Schwerpunkt; das von der WZ online entwickelte WienWiki, und die Integrations-Seite ein schönes Abbild jener Stadt bilden, die wir im Namen tragen. Nach 310 Jahren nehme ich mir die republikanische Freiheit zu erklären, dass zu Wien der Begriff "Bundeshauptstadt" viel besser passt als "Reichshauptstadt".
Im Englischen gibt es den schönen Begriff "capital city", der einfach die wichtigste Stadt einer Region benennt – ein schöner Gedanke mit Blick auf Europa, zu dem sich die "Wiener Zeitung" vehement bekennt. Die europäische Entwicklung ist uns wichtiger als die nationale. Das macht uns angreifbar, wie jeden, der klare Standpunkte bezieht. Und wenn wir schon dabei sind: Ja, die "Wiener Zeitung" bekennt sich auch zur Sozialpartnerschaft. Mit unseren 310 Jahren wissen wir, dass nicht alles was altmodisch erscheint, auch tatsächlich so ist…
Und um noch etwas Feinstaub der Geschichte abzuschütteln, wird die "Wiener Zeitung" im 311. Jahr ihres Bestehens ein Redaktions-Statut erhalten – der demokratische Antipode des "k.u.k-Privilegs". Irgendwie funktioniert es ja mit der permanenten Revolution…
Ihr
Reinhard Göweil
Chefredakteur (ab dem 306. Jahr)
P. S.: Das vor Ihnen liegende Heft gliedert sich fließend in die Bereiche Vergangenheit – Gegenwart – Zukunft. Es enthält auch ein paar praktische Beispiele, welchen Mehrwert die "Wiener Zeitung" darüber hinaus bietet (lieber Josef Hader, danke dafür).