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Persisches Kebab als Ablenkung

Von Selina Nowak

Politik

Wenn Asylwerber genug davon haben, immer nur lieb zu lächeln.


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Wien. "She’s so lucky, she’s a star!", singt ein kleines Mädchen voller Inbrunst. Das Mädchen von damals ist erwachsen geworden. Die Britney-Spears-Performance ist der heute 16-Jährigen peinlich. Damals vor drei Jahren hat das singende Mädchen aus Tschetschenien ihre Lebensgeschichte in dem Stück "Daneben" zum Besten gegeben. Sie hat davon erzählt, wie lange die Autofahrt von Tschetschenien nach Österreich gedauert hat, wie sehr sie sich dabei mit ihrer Schwester gelangweilt hat und dauernd nur Kaugummi gekaut hat - und wie sehr sie sich gewünscht hat, in die Schule zu gehen. Heute lebt die Jugendliche mit ihrer Familie in einer Gemeindebauwohnung, bereitet sich auf ihre Matura vor und will später einmal Zahnmedizin studieren.

2010 hat das Künstlerduo Michikazu Matsune und David Subal das Stück mit Flüchtlingen erarbeitet. Heute, drei Jahre später, heißt es in der dreitägigen Veranstaltungsreihe "Verschlusssache" im "Wiener Brut" Bilanz zu ziehen. Was ist passiert aus den Mädchen und Buben, Männer und Frauen, die damals nach Österreich gekommen sind, um um Asyl ansuchen.

Von 30 Teilnehmern sind nur mehr 20 übrig

Der Raum ist in Stationen aufgeteilt, bei jeder Station hängt eine Tafel, auf der die Biografie einer Person geschrieben steht, über Kopfhörer kann man sich einen O-Ton von dieser Person anhören. Mal ist es nur Meeresrauschen, mal ist es ein weiser Spruch des Großvaters, mal ist es Gesang, mal ist es ein Gebet in der Muttersprache. Die Flüchtlinge selbst stehen daneben. Sie sprechen nicht. Eine merkwürdige Situation. Man liest über ihr Leben und hört die Stimmen dieser Menschen. Doch mit ihnen direkt zu reden, ist nicht vorgesehen.

Raisa Dzhamalovas Platz wird leer sein. Die Tschetschenin und ihr kleiner Sohn wurden mittlerweile abgeschoben. Nur die Sprachaufnahme, in der sie mit schwerem Akzent ihren Negativbescheid vorliest ist übrig. Von den 30 Teilnehmern, die 2010 bei "Daneben" mitmachten, sind heute nur noch 20 übrig. Ein Teil wurde abgeschoben, ein Teil ist verschwunden, und einige haben geheiratet und sind in eine andere Stadt gezogen.

Bei Shukrullah Tangistanipour ist alles gleich geblieben. Der Koch aus dem Iran wartet nach wie vor auf seinen Bescheid. Er darf nicht arbeiten und seine Frau und seinen Sohn nicht nachholen, da er bei seiner Einreise fälschlicherweise als "ledig" eingetragen wurde. Und so bleibt ihm nicht viel mehr, als über Kochrezepte nachzudenken. In seiner "Daneben"-Sprachaufnahme erklärt er in seiner Muttersprache, wie man persisches Kebab für zehn Personen zubereitet.

Hamayoun Eisa aus Afghanistan ist mittlerweile nicht mehr allein. Seit wenigen Wochen sind seine Frau Galina und sein Sohn in Wien. Er selbst hat nun ein temporäres Visum, ist nach Paragraf 8 subsidiär Schutzberechtigter. Das heißt, er darf nun endlich arbeiten. Eisa ist ausgebildeter Schauspieler. Er ist eine zentrale Person in "Daneben", hat viele der Teilnehmer zum Mitmachen animiert, ist Dolmetscher und Vermittler zwischen den Künstlern und den Flüchtlingen.

Nicht duckmäuserischim Hintergrund

Vielleicht ist Eisa das für die Kulturarbeit, was ein "Fixer" im Kriegsjournalismus ist. In vielen Produktionen mit Ausländern habe er schon mitgewirkt, erzählt er. Volkstheater, Brunnenpassage und in Filmen. Und trotzdem tauche sein Name letztendlich nirgendwo auf.

Ständig würde man als Asylwerber in den Hintergrund gedrängt, wer Ideen habe, laufe gegen eine Wand, meint Eisa. Allein Kameraequipment auszuleihen, sei für den Schauspieler fast schon eine Unmöglichkeit. Er sieht aber nicht ein, warum man als Asylwerber sich immer duckmäuserisch im Hintergrund halten, immer lieb lächeln und ja sagen müsse. Der aufgeweckte Mann ist aber alles andere als verhärmt. Das Lachen ist ihm nicht vergangen. Er hat eine Vision: die Einführung eines "Lachtags". "Es gibt für alles einen Tag - den Tag des Scherzes, den Tag des Mannes, der Frau, des Flüchtlings." Sein Ziel: Acht Millionen Österreicher, die gleichzeitig im ganzen Land eine Minute lang aus vollem Herzen lachen.

Veranstaltungsreihe "Verschlusssache", Wiener Brut, 8 bis 10. Mai.