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Je näher Pflege bei den Menschen ist, desto besser und billiger ist sie.
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Wien. Welche Weichen müssen Wirtschaft, Politik und Gesellschaft bereits heute stellen, um den demographischen Wandel, die Pflegefinanzierung und den Fachkräftemangel in den Griff zu bekommen. Diese und ähnliche Fragen werden heute, Freitag, beim Pflege-Management-Forum in Wien von Führungskräften der Gesundheits- und Krankenpflege beraten. Die "Wiener Zeitung" sprach im Vorfeld mit einer der Teilnehmerinnen zum Thema Pflege.
"Wiener Zeitung": Die Zahl der Pflegegeldbezieher wächst; im Jänner haben fünf Prozent der Bevölkerung - genau 432.248 Menschen - Pflegegeld bezogen. Im Jahr 1993 waren es 230.340, seither ist die Zahl der Bezieher stetig angestiegen. Stehen wir vor der Gefahr eines Pflegenotstands, beziehungsweise was muss getan werden, um Pflege möglichst nahe an den Interessen der zu Pflegenden zu garantieren und den Blick auf die Finanzen nicht zu verlieren?Greti Schmid: Wir haben keinen Pflegenotstand. Aber wir wissen, dass 90 Prozent der Menschen zu Hause gepflegt werden wollen. Ich sehe die Verantwortung dafür primär bei der Familie, aber die Politik muss die notwendigen Rahmenbedingungen liefern, um das zu ermöglichen. In Vorarlberg haben wir ein Case- und Care-Management eingeführt. Der Case-Manager ist der Begleiter für die Betroffenen, um zu sehen, was die nächsten Schritte sind und wo und wie die Pflege am besten organisiert wird. Er schaut, welche Möglichkeiten es im nahen Umfeld des zu Pflegenden gibt - von Nachbarschaftshilfe bis Tagesbetreuung, Urlaubspflege, 24-Stunden-Betreuung oder Heim. Das Case-Management sorgt für entsprechende Angebote in den Regionen.
Ist Vorarlberg ein Vorzeigeland, was die Pflege betrifft?
Jedes Land regelt das anders. Vorarlberg hat insofern eine Sonderstellung, als es hier das System der Hauskrankenpflege gibt. Das ist über 100 Jahre gewachsen, 60 Prozent der Haushalte sind Mitglieder. Diese Hauskrankenpflege ist ein Genossenschaftsprinzip, die Organisation erfolgt ehrenamtlich: Jeder Haushalt zahlt pro Jahr 30 Euro Mitgliedschaft und erwirbt damit das Recht, betreut und gepflegt zu werden. 40 Prozent der Kosten können durch Mitgliedsbeiträge und ehrenamtliches Engagement abgedeckt werden.

Wäre das nicht ein sinnvolles System, das andere Bundesländer übernehmen könnten?
Das ist gewachsene Kultur, das kann die Politik nicht anordnen.
Gibt es sonst noch Vorarlberger Besonderheiten?
Wir sorgen vor für die Zeit, wenn es nicht mehr so viele ausländische 24-Stunden-Betreuerinnen gibt. Es gibt einen Pool, wo sich einheimische Kräfte melden können. Wer in diesen Pool kommen möchte, muss bestimmte Voraussetzungen erfüllen - so sichern wir die Qualität. Gleichzeitig sichern wir die Pflegekräfte auch ab, zum Beispiel durch eine Ausfallversicherung. Wir haben aber auch Angebote für pflegende Angehörige. Diese können einmal im Jahr für einen Beitrag von 50 Euro eine Woche lang Urlaub in einer Vollpension machen. Und Vorarlberg zahlt zusätzlich zum Pflegegeld (ab Stufe 5) 100 Euro monatlich.
Wir haben ein Pflege- und Betreuungsnetzwerk. Da sitzen alle an einem Tisch. Im Zentrum der Überlegungen steht: Wie möchte ich selbst im Alter betreut werden? Wichtig ist eine aktivierende, selbstbestimmte Pflege zu sichern. Diese soll möglichst nah am Zuhause sein. Ambulante Pflege ist immer kostengünstiger als stationäre Pflege, daher geht es darum, ambulante Dienste stärker aufzubauen. Wir können die demographischen Zuwächse im Pflegebereich nicht durch Heime abdecken - das geht sich finanziell nicht aus.
Wie kann man den steigenden Personalbedarf abdecken?
Die Personalrekrutierung ist ein großes Thema, zumal eine Pensionierungswelle ansteht. Da muss man im Gesundheits- und Krankenpflegegesetz nachjustieren und vermehrt Pflegehilfen einbeziehen, weil diplomiertes Personal fehlt. In Vorarlberg haben wir gerade ein Pilotprojekt laufen für einen Soziallehrberuf. Wir verlieren nämlich viele Anwärter für einen Sozialberuf nach der Schule, weil eine Diplomausbildung erst ab 17/18 Jahren möglich ist. Aber auch sehr wichtig wird sein, Pensionisten zu gewinnen. Dazu muss unbedingt die Zuverdienstgrenze angehoben werden. Da gibt es ein Riesenpotenzial, das wir dringend in der Betreuung brauchen. Denn eines ist klar: Man kann nicht alle Menschen vollversichert bezahlen - da sind wir mausetot.