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"Peter Pilz hat mich vom Gefängnis abgeholt"

Von Petra Tempfer

Politik
Nach seiner Kandidatur für die Grünen bei der Nationalratswahl 2008 tritt Balluch diesmal für Jetzt an.
© WZ/Moritz Ziegler

Der Tierrechtsaktivist und Jetzt-Kandidat Martin Balluch darüber, wie er das Thema Tierschutz im Parlament neu aufrollen will.


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Wien. Er ist Doktor der Physik und der Philosophie, engagiert sich seit 35 Jahren für den Tierschutz - und hatte deswegen schon so viele Klagen und Verfahren laufen, dass er selbst gar nicht mehr weiß, wie viele eigentlich genau, wie er sagt. Bei der Nationalratswahl am 29. September will Martin Balluch nun mit Jetzt in den Nationalrat einziehen. Als niederösterreichischer Spitzenkandidat und auf Platz fünf der Bundesliste. Warum gerade Jetzt und wie er seine vorrangigsten Ziele erreichen möchte, erklärt der 54-Jährige im Interview mit der "Wiener Zeitung".

"Wiener Zeitung": Vor elf Jahren haben Sie bereits für eine Nationalratswahl kandidiert - damals auf Platz 16 der Bundesliste der Grünen. Für einen Einzug ins Parlament reichte es nicht, dafür lernten Sie Peter Pilz, 2008 noch bei den Grünen und 2017 Gründer der Liste Pilz (seit Dezember 2018 Jetzt), kennen. Ist er der Grund, warum Sie heute für Jetzt kandidieren?Martin Balluch: Peter Pilz hab’ ich kennengelernt, als er mich im Gefängnis besucht hat, das war 2008 in der Tierschutzcausa (im Mai 2008 wurde Balluch wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Organisation für etwa drei Monate in U-Haft genommen, 2011 wurde er rechtskräftig freigesprochen, Anm.). Da hab’ ich ihn zum ersten Mal in meinem Leben gesehen. Er hat sich wirklich für uns eingesetzt und uns interne Dokumente gegeben, die starke Informationen enthalten haben, die geholfen haben, den Fall zu drehen. Er hat mich auch vom Gefängnis abgeholt. Danach hatte ich nicht mehr so viel Kontakt, außer jetzt wieder beim BVT-Untersuchungsausschuss zur Tierschutzcausa.

Also es war nicht der persönliche Kontakt zu ihm, sondern wir, die Tierschutzszene, hatten die Idee, eine Tierschutzpartei zu gründen wie sie in anderen Ländern existiert und zum Teil auch im Parlament ist - in Holland oder Australien schon lange. In Deutschland gibt es eine Tierschutzpartei, die immerhin im EU-Parlament ist. Als sich die Möglichkeit ergeben hat, als unabhängiger Kandidat - ich bin nicht bei der Partei und war es auch bei den Grünen nicht - für Tierschutz und Klimaschutz anzutreten, habe ich die Chance wahrgenommen.

Warum nicht bei den Grünen?

Die Grünen wären natürlich auch denkbar gewesen, aber sie haben mir keinen Platz angeboten. Außerdem haben alle, die sich bei den Grünen für den Tierschutz einsetzen, Plätze ganz hinten auf der Bundesliste bekommen. Die Grünen setzen nicht auf Tierschutz. Der Klimaschutz ist klar vorn. Abgesehen von Madeleine Petrovic, die in den 90er Jahren die Bundessprecherin war und Präsidentin des Wiener Tierschutzvereins ist, waren bei den Grünen nie Menschen, denen der Tierschutz unter den Nägeln brennt. Für mich ist es bei Jetzt diesmal anders: Wenn sie wieder in den Nationalrat kommen, bin ich zu praktisch 100 Prozent dabei. (Bei der Wahl 2017 schaffte die Liste Pilz den Einzug mit 4,41 Prozent, die Grünen verfehlten die 4-Prozent-Hürde. Laut der Sora/ORF-Wählerstromanalyse gingen die meisten Grünen-Stimmen an SPÖ und Liste Pilz, Anm.).

Könnte das mangelnde Interesse am Thema Tierschutz daran liegen, dass man damit kaum Wählerstimmen generieren kann?

Faktum ist, dass es in allen Wahlkampagnen nur einmal ein tierschutzrelevantes Poster gab. Es war für die EU-Wahl 2014 und kam von den Grünen, und es ging darum, dass ein Schwein vor der Schlachtung auch ein Leben gehabt haben soll. Es geht auch wahnsinnig wenig weiter. Die letzte relevante Entscheidung zum Tierschutz war 2012, als das Kastenstandverbot für die Schweine beschlossen wurde. Der echte, qualitative Fortschritt, den wir in der Nutztierhaltung je hatten, war 2004: Da fiel der einstimmige Beschluss, das Legebatterieverbot für Hühner einzuführen. Am 1. Jänner 2009 ist es in Kraft getreten.

Ich glaube, dass es unter den Wählern aller Parteien Menschen gibt, denen Tierschutz wichtig ist. Wenn im Parlament Agrarlobbyisten sind, müssen auch Tierschützer dort sitzen. Es braucht ein Gegengewicht.

Welche Forderungen sind für Jetzt am dringlichsten?

Daniela Holzinger von der Partei wird am 25. September zum dritten Mal drei Anträge einbringen: das Verbot von Vollspaltenböden für Schweine, das Verbot des betäubungslosen Ferkelkastrierens - momentan wird alle zwölf Sekunden ein männliches Ferkel ohne jede Betäubung kastriert, das sind höllische Schmerzen wegen sechs Euro Zusatzkosten pro Schwein - und das Verbot des Schredderns männlicher Eintagsküken. In Österreich werden jährlich mehr als neun Millionen männliche Küken direkt nach der Geburt vergast und kommen dann in den Häcksler.

In Ihrer philosophischen Dissertation fordern Sie für "alle Tiere inklusive der Menschen" die Grundrechte auf Leben, Freiheit und Unversehrtheit. Für Insekten auch?

Unser Tierschutzgesetz trennt hier, die Mehrheit der Paragrafen gilt nur für Wirbeltiere und Kopffüßer. Ich würde aber lieber sagen, alle Tiere haben diese Grundrechte.

Bei Jetzt werden Sie aber nicht nur für den Tierschutz antreten - was wollen Sie für den Klimaschutz tun?

Laut dem aktuellen Sonderbericht des Weltklimarates IPCC wird mehr als ein Viertel der globalen Landfläche unseres Planeten als Weideland oder für den Anbau von Tierfutter genutzt. Die Fleischproduktion ist zu einem großen Teil für den CO2-Anstieg verantwortlich. Man sollte daher den Steuersatz von "normalem" Fleisch auf 20 Prozent anheben, während Biofleisch auf 10 Prozent bleiben kann. Das Problem ist, dass Fleisch zu billig ist. Wie soll man da tiergerecht und ökologisch verträglich produzieren, das ist praktisch unmöglich. In einem Wahlkampf über zusätzliche Steuern zu reden, ist immer tödlich, aber eine CO2-Steuer wäre auch sinnvoll. Also, dass man das, was einen höheren CO2-Beitrag leistet, höher besteuert. Dabei geht es um Verkehr, Konsum, Industrie. In Schweden gibt es seit 1991 eine solche Steuer. Wichtig ist, dabei an die Pendler zu denken. Der Bezirk oder der Staat sollte diese Steuer übernehmen, wenn der öffentliche Verkehr nicht gut genug ausgebaut ist. Die Milliarden Euro an Strafe, die Österreich bei Nichteinhaltung der Klimaziele drohen, könnte man zum Beispiel in thermische Sanierungen investieren.

Wie unterscheidet sich Jetzt hier von den Grünen?

Bei der Fleischsteuer wollen sie nicht mitgehen.

Sieht sich Jetzt als Oppositionspartei?

Auf jeden Fall. Mein Plan wäre, die Menschen aller Parteien, denen Tierschutz ein Anliegen ist, in einer überparteilichen Plattform im Parlament zusammenzuführen. Wenn jemand konservativ ist, heißt das ja noch lange nicht, dass er gegen den Tierschutz ist.

Der VGT bezeichnet sich selbst stets als parteiunabhängige Organisation - wie lange werden Sie noch Obmann sein?

Momentan bin ich es noch, aber falls ich tatsächlich ins Parlament komme, werde ich das neu überdenken. Im Moment bin ich auch in Vaterschaftskarenz, meine Tochter ist gerade 16 Monate alt geworden. Das kollidiert natürlich alles mit dem Wahlkampf, aber diese Chance, den Tierschutzgedanken ins Parlament zu bringen, meine Mission, für die ich mich seit 35 Jahren engagiere, hätte es später womöglich nicht mehr gegeben.

Der VGT wurde in der Vergangenheit immer wieder kritisiert, seine Forderungen gewaltsam durchsetzen zu wollen - nun könnten Sie bald auf der anderen Seite sitzen, jener der Politik. Wie gehen Sie damit um?

Das, was wir machen, und zwar relativ konsequent, ist laut sein. Wir hauen auf den Tisch und sagen: "Schaut’s her, da ist ein Problem." Wenn man das nicht macht, fällt es den anderen leicht, einen zu ignorieren. Schreib’ ich ihnen einen Brief, dann werfen sie ihn in den Mistkübel. Wenn ich einmal im Parlament bin, brauche ich nicht mehr auf den Tisch zu hauen, weil mir die Regierung direkt gegenüber sitzt und zuhören muss.

Mit dem Namen Balluch verbinden viele den Kampf gegen Gatterjagden, zuletzt haben Sie gegen ein Urteil zugunsten des Salzburger Jägers Maximilian Mayr-Melnhof vor dem Obersten Gerichtshof berufen. In wie viele Klagen und Verfahren waren Sie denn schon verwickelt?

Oh, unendlich viele.

Die Spitzenkandidaten sind medial omnipräsent: im Radio, im TV, in Zeitungen. Die "Wiener Zeitung" spricht bis zu Nationalratswahl am
29. September mit Kandidatinnen, die nicht in der ersten Reihe stehen.

Zur Person~ Martin Balluch hat Mathematik, Physik und Astronomie an der Universität Wien studiert und in Physik und später in Philosophie promoviert. Nach zwölf Jahren Uniassistenz für angewandte Mathematik wandte er sich dem Tierschutz zu und ist nun seit 35 Jahren für diesen aktiv. 2002 wurde er Obmann des Vereins gegen Tierfabriken und hat diese Position bis heute inne. Seit 30 Jahren lebt der 54-Jährige vegan.