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Peter Weibel und seine Teekesselchen

Von Isolde Charim

Gastkommentare
Isolde Charim ist Philosophin und Publizistin und arbeitet als wissenschaftliche Kuratorin am Kreisky Forum in Wien.
© Daniel Novotny

Wo der Rückblick auf 2014 zum Ausblick wird.


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Ich erspare mir jetzt die Aufzählung all der schlimmen Entwicklungen des Jahres 2014. Aber im Rückblick kann man sich auch den erfreulichen Dingen widmen. Etwa der Weibel-Ausstellung. Diese Schau im Wiener 21er Haus unter dem Titel "Peter Weibel - Medienrebell" war und ist (sie läuft noch bis 18. 1.) ein richtiger Lichtblick.

Die Schau macht das Publikum glücklich, weil sie ihm versichert: Hier gab und gibt es einen echten Rebellen. Und Weibel erfüllt diesbezüglich alle Kriterien: kreativ, überbordend, schnell (er überholt sich beim Sprechen selber), offen, klug, augenzwinkernd, chaotisch - all das also, was in dem Begriff "schillernd" angesprochen wird. Zugleich versichert uns die Schau, dass es damals, in den rebellischen Sehnsuchtsjahren, noch die Möglichkeit einer tatsächlichen Rebellion gab. Die Provokationen der 1960er und 1970er Jahre provozierten tatsächlich. So war etwa das Sitzen auf der österreichischen Flagge, weil verboten, wirklich ein Skandal. Heute ist die Aufforderung an das Ausstellungspublikum, es dem Künstler gleichzutun eher kokett: Da kann man Rebellion probesitzen. Weibels Provokationen - vor allem seine wunderbare Zusammenarbeit mit Valie Export: ob das Tapp- und Tast-
Kino oder das Führen an der Hundeleine - das war immer eine intelligente und eine fröhliche Rebellion. Und dieser Funke des vergnüglichen und vergnügten Widerstandsgeistes springt bis heute über. Das hat den Charme des "Ich scheiß mich nix".

Das ist auch insofern lustig, als Weibel diese Haltung nur im übertragenen Sinn vollzog - im Unterschied etwa zu den anderen Aktionisten, die mit ihren Körpersäften nie geizten. Weibels Rebellion war immer - und da sind wir beim Kern der Schau - eine "trockene", wie er selber sagt. Nicht Blut, Kot oder andere Flüssigkeiten waren sein Medium, sondern Zeichen. Also Sprache.

Weibels Umgang mit Sprache ist die des "Teekesselchens". Das ist ein Kinderspiel und geht so: Der eine muss sich ein Wort ausdenken, das mehrere Bedeutungen hat. Der andere muss es erraten anhand der Beschreibung, was das Wort in der ersten und was es in der zweiten Bedeutung ist. "Teekesselchen" ist übrigens auch ein Teekesselchen: In meiner ersten Bedeutung ist es ein Gefäß für ein heißes Getränk und in meiner zweiten Bedeutung ist es ein Kinderspiel. Dem lässt sich noch eine weitere Bedeutung hinzufügen: In meiner dritten Bedeutung ist das Teekesselchen ein künstlerisches Verfahren. Die Produktion, besser gesagt die Freilegung von Teekesselchen (denn natürlich gibt es diese schon in der Sprache) ist die bevorzugte Technik von Weibel. Etwa wenn er mit Kreide das Wort "Recht" auf den Boden schreibt und das Publikum beim Betreten der Schau eben "das Recht mit Füßen tritt". Da fallen beide Bedeutungen zusammen.

Dabei geht es nicht darum, Metaphern zu finden, um Inhalte zu übersetzen. Es geht vielmehr darum, bestehende Mehrfachbedeutungen zu nutzen. Um aufzudecken, zu entlarven, aufzuklären. Die Sprache selbst soll die Situation entlarven, darstellen, zur Kenntlichkeit entstellen. Das ist der Spaß! Und wenn Weibel mit seinem "Hotel Morphila Orchester" am 10. 1. auftritt, dann wird der Rückblick zum Ausblick.

Dann wird das alte Kurt-Palm-Motto belebt: "Der einzige Spaß in der Stadt"!