Sarajewo · Den TV-Spot der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) sollte nach wochenlanger Ausstrahlung in Bosnien-Herzegowina mittlerweile jeder kennen. Schon der | Titel "So wird gewählt" zeigt, dass die Kommunalwahlen am Samstag ein Novum aufzuweisen haben: Das System der "Offenen Listen" macht es möglich, dass die Wähler am Samstag nicht nur Parteien, sondern | auch einzelne Politiker direkt wählen können. Für den Hohen Repräsentanten Wolfgang Petritsch ist dies ein weiterer Schritt, das demokratische Bewusstsein im Land zu stärken.
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So soll die Hoffnung erhalten werden, dass ein Zusammenleben von Serben, Kroaten und Moslems einmal wieder möglich wird. "Wir erwarten, dass sich mit dieser Verlebendigung des Wahlrechts die
Verantwortlichkeit einzelner Politiker herausstellt", erklärte Petritsch wenige Tage vor den Wahlen. "Wahlen sind grundsätzlich wichtig, weil sie den demokratischen Prozess transportieren." Es sei
schließlich leichter, die physischen Strukturen wieder aufzubauen als einer demokratische Gesinnung zum Durchbruch zu verhelfen, die es in Bosnien-Herzegowina auch vor dem Krieg nur in Ansätzen
gegeben habe, meint Petritsch. Das Hauptproblem bestehe darin, dass die Menschen in Bosnien nicht als Bürger, sondern als Teil einer ethnischen Gruppe gesehen würden. "Da müssen wir unsere Bemühungen
in Richtung Zivilgesellschaft verstärken. Wahlen tragen wesentlich dazu bei, die Demokratisierung der Institutionen entscheidend zu verbessern."
Das neue Wahlgesetz, das vor allem die Machtbasis der nationalistischen Partei aller drei Volksgruppen einschränken soll, wurde vorerst aber einmal auf Eis gelegt. Ob es bis zu den geplanten
Parlamentswahlen im Herbst in Kraft treten kann, ist ungewiss. Petritsch: "Das Parlament hat die Vorschläge abgelehnt, ohne sie überhaupt anzuschauen. Man ist hier eben noch nicht so weit,
dass man inhaltlich diskutiert. Es ist ein Grundproblem, dass die politischen Institutionen ihre Verantwortung nicht wahrnehmen."
Die Hoffnung, dass in Bosnien-Herzegowina einst wieder multiethnische Strukturen hergestellt werden könnten, sieht Petritsch pragmatisch und realitätsbezogen: "Nach so einem Krieg wird nie mehr etwas
so sein, wie es vorher war, es sind sicher viele Dinge irreparabel zerstört worden. Es ist aber trotzdem ein Faktum, dass trotz der ethnischen Vertreibungen, die wir mit immer größerem Erfolg
rückgängig machen, drei Volksgruppen in diesem Staat leben. Sie werden auch in Zukunft mit- und nebeneinander leben müssen." Da bei den Problemen zwischen den drei Ethnien aber auch soziale und
wirtschaftliche Dinge eine Rolle spielen, müsse in Bosnien-Herzegowina vor allem versucht werden, die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen.
Dabei sei man neben den Behinderungen durch die ethnischen Konflikte auch mit dem Umstand konfrontiert, dass die Transformation der kommunistischen Strukturen in Bürokratie und den Betrieben durch
den Krieg erst viel später in Gang gebracht wurde als in anderen osteuropäischen Ländern. Einen wichtigen Ansatz zur Verbesserung der ökonomischen Strukturen sieht Petritsch im grenzüberschreitenden
Balkan-Stabilitätspakt. Erstmals werde nun nicht auf eine Situation reagiert, sondern versucht, längerfristige Veränderungen zu erreichen. "Wenn wir Bosnien-Herzegowina nach Europa führen wollen,
muss erst einmal die regionale Kooperation wieder aufgebaut werden. Der Zerfall Jugoslawiens hat viele Wirtschaftsräume und Relationen zerstört. Wir müssen aber diesen Teil Europas als integralen
Bestandteil des größeren Europaprojekts sehen."
Rund 2,5 Millionen Einwohner (2,2 Millionen im Land und 220.000 im Ausland) bestimmen in 145 Gemeinden ihre Volksvertreter. Insgesamt bewerben sich rund 21.000 Kandidaten um die 3.300 Sitze in den
Stadt- und Gemeinderäten. Außerdem wird das Parlament der zwischen Kroaten und Moslems geteilten Stadt Mostar gewählt.