Der Anteil älterer und damit pflegebedürftiger Menschen steigt. Unsere Gesellschaft hat sich den sich verändernden Bedingungen aber noch nicht angepasst. Es mangelt an Unterstützung pflegender Angehöriger - sowohl psychisch als auch monetär. Aber auch institutionelle Angebote müssen ausgebaut werden: Tageszentren, Kurzzeitpflege. Nicht zuletzt soll auch die letzte Station des menschlichen Daseins durch einen Ausbau der Hospizangebote erleichtert werden.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 20 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Der Anteil hochbetagter Menschen steigt. Der Bedarf an Pflege, an Betreuungsformen und Betreuungsstrukturen wächst. Ebenso wächst die Gefahr, dass alte Menschen auf Budgetposten und Kostenfaktoren reduziert werden und sich selbst als Belastung für andere empfinden. Im Sinne einer "Kultur des Lebens" braucht unsere Gesellschaft ein generelles Umdenken.
Viele Menschen haben Angst, selbst pflegebedürftig zu werden. Diese Angst gilt es zu enttabuisieren, ihr ist mit geeigneten, zukunftsfähigen Angeboten entgegenzutreten. Töchter und Söhne erleben es zunehmend als Problem, wenn der Vater oder die Mutter in den eigenen vier Wänden gepflegt werden muss. Dennoch leisten Angehörige 80 Prozent der Pflege zuhause und dieser Dienst ist gesellschaftlich unentbehrlich. Diese Angehörigen brauchen Unterstützung, Entlastung, Begleitung - Strukturen, die Sicherheit in der Sorge um Eltern und Großeltern bieten. Dazu muss ihnen verstärkt Mut gemacht werden, sich auch professionelle Hilfe zu holen.
Als Träger von Senioren- und Pflegehäusern, als Anbieter des mobilen Angebots "Betreuen und Pflegen zuhause" und als einer der größten Träger von Hospizarbeit sehen wir hier Herausforderungen, denen sich die Politik noch immer zu zögerlich stellt.
Es braucht einen Nationalen Hospizplan, es braucht eine parlamentarische Enquete zum Thema Zukunft der Pflege - es muss deutlich gemacht werden: Österreich ist bereit, sich den aktuellen und auch den demoskopisch absehbaren Herausforderungen im Bereich Pflege und Hospiz entschieden zu stellen. Politisch ist hier etwa umzusetzen, dass pflegende Angehörige ein Recht auf existenzielle Entlastung haben, dass Pflegezeiten - nach dem Modell der Kinderbetreuungszeiten - bei der Berechnung der Pension jedenfalls angerechnet werden können u.v.m.
Der Grundsatz - so mobil wie möglich, so stationär wie nötig - ist ein wichtiger Ansatz, um das Klima für alte Menschen in Österreich zu verändern. Teilstationäre Angebote - Stichwort Tageszentren, Kurzzeitpflege - müssen weiter ausgebaut werden.
Zu einer "Kultur des Lebens" gehört auch eine "Kultur des Sterbens", eine Kultur der Solidarität mit den Sterbenden. Wer Sterbehilfe nicht will, muss für optimale Sterbebegleitung sorgen. Seit 15 Jahren betreut und begleitet das Mobile Caritas-Hospiz in Wien und seit über fünf Jahren in Niederösterreich mit Ärzten, Pflegekräften, Seelsorgern und ausgebildeten ehrenamtlichen MitarbeiterInnen schwerst kranke und sterbende Menschen und deren Angehörige. Doch ohne Spenden ist es nicht möglich, die Hospizangebote zu finanzieren. Der Einsatz für ein Leben in Würde bis zuletzt aber darf nicht am Geld scheitern. Hier gilt es, die Absicherung in der Regelfinanzierung des Gesundheitssystems anzustreben.
Handlungsbedarf besteht beim Pflegegeld: Es fehlt die jährliche Valorisierung und eine Einstufung, die weniger auf medizinisch-pflegerische Gesichtspunkte fokussiert, was insbesondere bei Demenzerkrankungen wichtig ist. Für Menschen am Lebensende aber bedarf es vor allem eines beschleunigten Zugangs zum Pflegegeld. Viele Menschen sterben, noch bevor überhaupt die Höhe der Pflegestufe festgesetzt wurde.
Ich erinnere an den einstimmigen parlamentarischen Beschluss vom Dezember 2001 zur umfassenden Förderung der Hospizarbeit sowie die parlamentarische Enquete zu diesem Thema, die Kardinal König angeregt und auch eröffnet hat: Was damals einstimmig beschlossen worden ist, ist bei weitem noch nicht umgesetzt. Palliative Care und Hospizarbeit müssen flächendeckend in das österreichische Sozial- und Gesundheitswesen integriert werden, Erfahrungen aus beiden müssen verstärkt in die Arbeit in den Spitälern und Pflegeeinrichtungen einfließen.
Das Thema "Alter und Pflege" ist eine der zentralen Herausforderungen von morgen. Je eher wir uns dieser Herausforderung stellen, desto besser, für Österreich und für die Menschen in unserem Land.
Dr. Michael Landau ist Caritasdirektor in Wien