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Pflege soll aus Steuern statt aus Versicherung finanziert werden

Von Karl Ettinger

Politik
© Getty/indeed

Nach Länderstudie Vorbehalte gegen höhere Sozialbeträge. Bis 2030 werden zusätzlich 75.000 Pflegekräfte gebraucht.


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In Österreich beziehen rund 460.000 Menschen Pflegegeld. 225.000 Menschen sind älter als 85 Jahre. Diese Gruppe der hochbetagten Menschen, die häufig auch besonderen Bedarf an Pflege hat, wird bis zum Jahr 2030 auf 327.000 Menschen anwachsen. Derzeit gibt Österreich je nach Berechnungsweise 1,3 bis 1,9 Prozent der Wirtschaftsleistung für Pflege aus, in den kommenden 30 bis 40 Jahren wird eine Verdoppelung dieser Ausgaben erwartet.

Angesichts dieser Entwicklungen wird die Finanzierung der Pflege zunehmend zur Herausforderung. Derzeit werden die Ausgaben in Österreich großteils aus Steuermitteln aufgebracht. Gegen die Einführung eines Modells, das künftig vor allem auf Sozialversicherungsbeiträge zur Finanzierung der Pflege setzt, gibt es allerdings vonseiten der Ökonomie Vorbehalte. Das sei "nicht die optimale Lösung", betonte der Chef des Instituts für Höhere Studien (IHS), Martin Kocher. Anlass dafür war die Vorstellung einer IHS--Studie zur Pflegefinanzierung im europäischen Vergleich am Montag mit Sozialministerin Brigitte Zarfl.

Warnung vor Belastung von Arbeitseinkommen

Der IHS-Chef wollte seine Einwände zwar nicht als generelle Ablehnung einer Pflegeversicherung durch höhere Sozialversicherungsbeiträge verstanden wissen. Allerdings würde sich das negativ auf die Abgabenlast und damit auch auf den Arbeitsmarkt auswirken. Das spreche für die Finanzierung aus dem Steuertopf. Das Steuersystem ermögliche auch eine höhere Flexibilität. Studienautorin Monika Riedel sah in der Studie ebenfalls nicht den Auftrag, Sozialversicherungsbeiträge für die Pflegefinanzierung anzuheben.

Die Ergebnisse der Studie, die noch von Ex-Ministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) in Auftrag gegeben worden ist, kommen rechtzeitig zu den laufenden Regierungsverhandlungen von ÖVP und Grünen. Die ÖVP hat sich schon im Vorjahr und auch im Nationalratswahlkampf für die Einführung einer eigenen Pflegeversicherung ausgesprochen. Diese sollte als fünfte Säule der Sozialversicherung eingerichtet werden. Mittel sollten dafür aus der Unfallversicherung umgeschichtet werden. Die Grünen sind bisher für eine steuerfinanzierte Variante der Pflege eingetreten.

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Mit der Aufbringung der Mittel aus Steuern ohne Zweckbindung liegt Österreich laut IHS-Studie im Mainstream. Von den untersuchten Ländern erfolgt diese in Dänemark, Schweden und Spanien überwiegend aus Steuern, in Deutschland, das eine eigene Pflegeversicherung hat, hingegen über Beiträge, in Frankreich und in den Niederlanden aus einem Mix aus Steuermitteln und Beiträgen.

Sollte Österreich nun dennoch die Einbeziehung der Sozialversicherung zur Pflegefinanzierung überlegen, müssten zwei Punkte beachtet werden, wie Riedel betonte. Einerseits müsste per Gesetz festgelegt werden, welche konkreten Leistungen der Sozialversicherung übertragen werden. Denn derzeit liegt beim Bund die Kompetenz für Geldleistungen, Sachleistungen bei den Ländern. Andererseits sollten Beiträge dann aber nicht nur Arbeitseinkommen umfassen, sondern auch Einkommen etwa aus Kapitalerträgen.

Zarfls Schlussfolgerungen: Österreich brauche eine breitere Finanzierungsbasis und eine gute Zusammenarbeit von Bund und Ländern. Das betrifft auch den künftigen Finanzausgleich, der 2021 ausläuft. Denn die IHS-Studie fordert auch, für die Erbringung von Leistungen müsse es künftig österreichweit einheitliche Zielsetzungen geben. Im Vergleich mit den untersuchten europäischen Ländern sind derzeit beim Finanzausgleich die demografische Struktur und sozioökonomische Faktoren nicht ausreichend berücksichtigt.

Präventive Hausbesuche als zusätzliches Angebot

Speziell unter die Lupe genommen wurde vom IHS auch die Rolle der Prävention, um späteren Kosten für Langzeitpflege vorzubeugen. Besondere Bedeutung kommt demnach präventiven Hausbesuchen bei älteren Personen zu. Dabei werden diese von Gesundheitsfachkräften in ihren Wohnräumen aufgesucht. Dabei werden unter anderem auch gesundheitsfördernde Maßnahmen sowie präventive Aktivitäten zur Unterstützung von körperlichen und geistigen Aktivitäten für Betroffene angeboten. Vorbild dafür sind sogenannte "community nurses" im angelsächsischen Raum und in Skandinavien, wobei allgemeine Pflegekräfte tätig sind. Außerdem sollten diese Kräfte auch Informationen für Angehörige und pflegebedürftige Menschen über weitere Pflegeangebote bieten.

41.000 müssen neu in Pflegeberufe einsteigen

Neben den Problemen um die Finanzierung der Pflege ist Österreich auch mit der Situation konfrontiert, dass der Bedarf an Pflegepersonal in den kommenden Jahren deutlich steigen wird. Die Gesundheit Österreich GmbH hat dafür gleichzeitig mit Zarfl und dem IHS eine weitere Studie über den künftigen Personalbedarf präsentiert. Insgesamt werden bis zum Jahr 2030 für den Pflegebereich zusätzlich 75.700 Personen gebraucht. Derzeit sind in Krankenhäusern sowie in der Pflege und Betreuung rund 127.000 Personen beschäftigt, davon 67.000 in den Spitälern.

Der zusätzliche Bedarf ergibt sich einerseits aus der demografischen Entwicklung mit mehr älteren Menschen über 85 Jahren, weshalb mit einem Zusatzbedarf von 34.200 Personen gerechnet wird. Weil derzeit bereits rund ein Drittel des Pflegepersonals bereits älter als 50 Jahre ist, müssen außerdem weitere 41.500 Personen neu in den Beruf einsteigen, um den Bedarf zu decken. Der jährliche Bedarf wird dabei auf zwischen 3900 und 6700 Pflegekräften geschätzt.

Für Sozialministerin Zarfl geht es dabei nicht nur darum, Menschen für den Pflegeberuf zu gewinnen. Wichtig sei vor allem auch, diese künftig nach der Ausbildung möglichst lange im Beruf zu halten. Derzeit wechseln viele Pflegekräfte rasch in andere Berufe.