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Pflegefall Bundesregierung

Von Karl Öllinger

Gastkommentare

Vor einem Jahr wurde offensichtlich, was die Regierungspolitik nicht zur Kenntnis nehmen wollte: der Pflegenotstand. Weil auch einige Politiker ihren privaten Pflegenotstand mit Hilfe von (bis dahin) illegaler Pflege durch Betreuungspersonen aus dem Ausland gelöst hatten, wurde endlich darüber diskutiert. Die Grünen haben damals eine Amnestierung und Entkriminalisierung der Betreuungspersonen gefordert.


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Die alte schwarz-blau-orange Regierung wurde durch eine neue rot-schwarze ersetzt, eine befristete Amnestie beschlossen und ein Hausbetreuungsgesetz gebastelt. Mit dem Gesetz hoffte die Bundesregierung, das Thema Pflege und Betreuung älterer Menschen aus der Welt schaffen zu können. Das Gegenteil ist der Fall. Die Pflegelösung der Bundesregierung ermöglicht bestenfalls einigen tausend Menschen in hohen Pflegestufen eine Betreuung rund um die Uhr. Wer kein eigenes Zimmer für die Betreuungsperson hat, wer nicht mindestens 2000 Euro pro Monat aufbringen kann, für den gibt´s nur das Pflegeheim.

Nichts gegen gut organisierte Pflegeheime: Für viele sind sie eine optimale Lösung. Aber sie sind teuer. Und es gibt nach wie vor Heime, die Mindestanforderungen an Menschenwürde nicht gerecht werden - zu viele.

Was Not täte, wäre eine offene, nüchterne Debatte über die Aufgabenteilung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden im Bereich der Pflegeleistungen. Notwendig wäre eine Debatte und Lösungen, wie Pflege- und Betreuungsleistungen für unterschiedliche Bedürfnisse am besten organisiert werden können. Nicht die Einschränkung auf Haus- oder Heimpflege, sondern eine breite Palette von Angeboten der Altenbetreuung und -pflege brauchen wir.

Notwendig wäre eine Debatte, wie Pflegepersonen und vor allem auch pflegende Angehörige gestärkt bzw. entlastet werden können. In diesem Zusammenhang: Wie kann man ruhigen Gewissens eine Betreuungsform wie die Rund-um-die-Uhr-Betreuung propagieren, bei der die Betreuungspersonen für 14 Tage keine Möglichkeit des Ausspannens haben?

Dringend bräuchten wir auch die Debatte, wie die Finanzierung des steigenden Pflegebedarfs sichergestellt und der Pflege- und Betreuungsbedarf durch Verbesserungen im Gesundheitssystem reduziert werden kann.

Stattdessen liefern sich ÖVP und SPÖ, Bund und Länder ein erbärmliches Schauspiel um Verantwortungen und Schuldzuschreibungen. Eine große Koalition muss sich an der Lösung großer Probleme beweisen, für die tatsächlich breite Mehrheiten notwendig sind: Bildungsreform, Verwaltungsreform und Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern sind solche Aufgaben. Die Pflege und Betreuung älterer Menschen ebenso. Durch ihre kleinlichen Zänkereien ist die große Koalition selbst zum Pflegefall geworden.

Karl Öllinger ist Stv. Klubobmann der Grünen.

Jeden Freitag lesen Sie hier den Gastkommentar eines Klubobmanns einer Parlamentspartei.