Als willkommene Munition sehen jene, die lieber heute als morgen eine Gesamtschule in Österreich einführen wollen, den jüngsten Vorwurf des UNO-Sonderberichterstatters Vernor Munoz vor der Vollversammlung des Menschenrechtsrates in Genf an: Die in Deutschland ab dem Alter von zehn Jahren übliche Aufteilung der Kinder in Haupt-, Realschule und Gymnasium sei selektiv und diskriminiere Kinder aus schwachem sozialem Umfeld und aus Einwandererfamilien.
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Laut Munoz sei die Art und Weise, wie die Zuweisung der Schüler auf den jeweiligen Schultyp erfolge nicht nachvollziehbar, und man solle überprüfen, ob nicht dieses dreigliedrige Schulsystem zum - siehe Pisa-Studie - "vergleichsweise geringen" Schulerfolg der Deutschen beitrage.
Der Vorwurf trifft, etwas abgeschwächt, auch auf Österreich zu, denn hierzulande haben Zehnjährige nur zwei Möglichkeiten - AHS-Unterstufe und Hauptschule. Wenn differenzierte Schulsysteme böse sind, zählt auch Österreich zu den Sündern, die sich bekehren müssen. Die häufige Realität in anderen Ländern - Gesamtschulsysteme, aber daneben teure Privatschulen für die Eliten - sehen die Vereinten Nationen offenbar mit Wohlwollen.
Dass die UNO vor allem dort streng redet, wo man ihr überhaupt noch zuhört, und weniger dort, wo ganz offensichtlich Menschenrechte mit Füßen getreten werden, ist die eine Erkenntnis aus der Wortmeldung von Munoz.
Die andere ist, dass die Bildungspolitik in Österreich und in Deutschland wirklich Erklärungsbedarf hat. Es ist zwar eine Legende, dass in der - keineswegs unumstrittenen - Pisa-Studie durchwegs Länder mit Gesamtschulen vor solchen mit differenziertem System liegen. Aber der Vorwurf, die Differenzierung sei oft ungerecht und erfolge mit zehn Jahren vielleicht etwas zu früh, verdient Beachtung. Ideologische Scheuklappen, welcher Art auch immer, sind für ein gutes Bildungswesen absolut nicht hilfreich.
Ein differenziertes System ist nur dann legitim und von Vorteil, wenn es nach Können und Leistung und nicht zwischen Armen und Reichen, Inländern und Ausländern unterscheidet. Ein Gesamtschulsystem von Wert auf der anderen Seite muss intern differenzieren und die Begabungen jedes einzelnen Kindes berücksichtigen, damit einerseits Talente nicht versickern und anderseits ein Mindestmaß an Kulturtechniken erworben wird.
Die heutige Praxis beim Übergang der Zehnjährigen in die AHS-Unterstufe oder Hauptschule, insbesondere in Wien, kann nicht der Weisheit letzter Schluss sein: Eltern terrorisieren Lehrer, um für ihr Kind Noten herauszuschinden, mit denen die Aufnahme in die gewünschte Schule gesichert scheint - sofern die Lehrer nicht bald ohnehin allen Kindern die ersehnten Einser nachwerfen.
Früher oder später wird diese Praxis entweder zur Gesamtschule oder zur Wiedereinführung der Aufnahmeprüfung für Gymnasien führen müssen.