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Phallizität

Von Rotraud A. Perner

Wissen

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"Der römische Gott Fascinus war... ein personifizierter Pimmel, und wenn heute jemand zu jemandem sagt, ,Ich bin von Dir fasziniert', dann darf man sich getrost einiges dabei denken", schreibt Karlhans Frank in "Der Phallus" (Eichborn Verlag 1989) - wobei offen bleibt, ob damit positive oder negative Faszination gemeint wird. Die positive Faszination des erigierten männlichen Gliedes beweisen zahllose Kulturdenkmäler aber auch Gebrauchsgegenstände antiker Fruchtbarkeitskulte: Höhlenzeichnungen, Knochengravuren, Ahnen- und Götterdarstellungen, Öllampen, Amphoren...

Die negative ortet Frank in der "Institution" - nicht Religion! - des Christentums: "Die Griechen hatten der Welt eine Auffassung vom Menschenkörper geschenkt, der man sich nicht schämen musste. Die christlichen Missionare aber zogen mit ihren Hämmerchen los und hauten Steinfiguren alle hervorragenden Merkmale ab. Jeder Mensch hatte nun Schamteile, also Teile, deren er sich zu schämen hatte. Diese Scham ging so weit, dass sogar das Waschen dieser Schamteile Gerüche nach Sünde aufsteigen ließ. Hieronymus, so kann man nachlesen, war der Ansicht, dass, wer in Christus gebadet habe, keiner weiteren Reinigung mehr bedürfe - so hatten die Pest übertragenden Flöhe ein geschütztes Zuhause bei folgsamen Christen." Das erinnert mich an die Wortschöpfung des österreichischen Psychoanalytikers Wilhelm Reich von der "emotionalen Pest" - der Sexualangst als Nährboden für Faschismus. Eine Folge des "Abwehrmechanismus" der Umwandlung sexueller Erregung in aggressive Aktionen: immerhin liegen die beiden Hirnareale knapp nebeneinander, "Übersprungsphänomene" bei mangelnden Ent-Spannungs-Techniken kommen daher häufig vor -- üblicherweise bei Mangel von beglückendem Sexualleben. Dazu tritt oft der Abwehrmechanismus der Rationalisierung - eine mehr oder weniger kluge Begründung, warum man sich aufregen muss (aggressiv natürlich, nicht sexuell!).

Heuer regte der "arc de triomphe" der Künstlertruppe Gelatin einige Salzburger Politiker auf: ein überlebensgroßer Plastilinmann in "Brücken"-Stellung reckt seinen ejakulierenden Phallus gen Himmel. Bürgermeister Schaden reckt es auch: "Eine Skulptur, die sich selber in den Mund pisst, ist zu starker Tobak" (profil, 28.7 03). Interessante Phantasie. Eine solche unterstellt er aber flugs Rupertinum-Chefin Agnes Husslein... wie wenn diese die Plastik inhaltlich in Auftrag gegeben hätte! Wo doch allgemein bekannt ist, dass Museumsdirektionen einkaufen, ausstellen, die PR in die Wege leiten... Im ORF 2 biederte sich Schaden sogar an Feministinnen an: was die wohl sagen würden, wenn ein weibliches Genital so dargestellt würde... Nun, Niki de St. Phalle hat das mit ihren überlebensgroßen "Nanas" ja auch getan: da kann man(n) sogar durch die Vagina ins Innere der Riesendamen hineinspazieren... und hat viel Applaus aus feministischem Lager bekommen.

Es ist also wohl nicht der Phallus an sich, auch nicht der "Springbrunnen", sondern eher die Persiflage auf männliches Protzverhalten - kombiniert mit den weiblichen Lustkillern weißen Sportsocken und Unterleiberl à la Mundl Sackbauer und der demonstrierten männlichen Selbstverliebtheit, die nerven: all die, die sich betroffen fühlen. Aber genau das will echte Kunst: treffen.

Künstler haben es in Österreich oft schwer - siehe Klappentext von Sabine Fellners "Kunstskandal!" (Ueberreuter 1997): "Ferdinand Waldmüller wurde wegen seiner revolutionären Kunstauffassung... von der Akademie zwangspensioniert... August Siccardsburg und Eduard van der Nülls Staatsoper wurde als "Königgrätz der Baukunst" beschimpft: Van der Nüll beging Selbstmord... Die "Mistkiste am Michaelerplatz" von Adolf Loos ist ein Klassiker der modernen Architektur, der Art Club als "Sumpf von Perversitäten" gehört zum Kanon der österreichischen Kultur, und Günter Brus, einer der Hauptakteure der "Stoffwechselparty", wurde 1996 der große österreichische Staatspreis zugesprochen. Der "Blutorgienmeister" Hermann Nitsch erhielt im selben Jahr wegen seiner Verdienste um das Ansehen Österreichs den Berufstitel Professor..."