Kometen-Lander steht in einer Ecke im Schatten - seine Arbeit könnte früher enden als geplant.
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Darmstadt/Wien. Am Freitagnachmittag herrschte nervöse Hektik im Kontrollzentrum der Europäischen Raumfahrtbehörde ESA in Darmstadt. Mit Bangen verfolgten die verantwortlichen Wissenschafter, wie ihrem Forschungsroboter Philae auf dem Kometen Tschuri langsam der Strom ausging.
Nach seiner abenteuerlichen Landung auf dem Himmelskörper 67P Tschurjumow/Gerasimenko am Mittwochnachmittag war der rundum mit Solarpaneelen verkleidete Lander drei Mal an der Oberfläche abgeprallt und anders als geplant im Schatten zum Stehen gekommen. "Es ist ein Pech. Statt eben im Raum steht er schräg in einer Ecke, umgeben von Felsen, womöglich an einem Kraterrand oder in einem Spalt", erklärte Valentina Lommats vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Darmstadt bei einem Pressebriefing der ESA am Freitagnachmittag, sichtlich bewegt: "Wir können nur hoffen."
Nur 1,5 Stunden Sonneneinstrahlung
Am Freitag strahlte die Sonne auf nur ein einziges Paneel für etwa eineinhalb Stunden. Die Batterie an Bord des Landers auf dem eine halbe Milliarde Kilometer entfernten Kometen hat eine Lebensdauer von 60 Stunden. Danach sollten die Solarbatterien übernehmen. Doch sie würden insgesamt sieben Stunden Sonne pro Tag benötigen, um sich vollständig aufzuladen.
Nur bei ausreichend Strom kann das Mini-Labor seine Messergebnisse an den Satelliten Rosetta im Kometenorbit funken, welcher sie dann zur Erde leitet. Die ESA-Forscher wagten am Freitag keine genaue Schätzung, wie lange Philae noch mit dem Mutterschiff kommunizieren könnte. "Wir hoffen, heute Abend wieder Kontakt zu haben und neue Daten zu empfangen", erklärte Landemanager Stephan Ulamec, der aus Österreich stammende Philae-Projektleiter. Auf die Frage, was er und sein Team hätten besser machen können, antwortete er: "Ich hätte eine länger haltende Batterie mitgenommen. Aber das war zu schwer und damals nicht möglich." - "Der Lander hat nur noch einige Stunden Lebensdauer mit seiner Batterie", warnte Projektleiter Philippe Gaudon von der französischen Raumfahrtbehörde CNES.
Die Forscher tüftelten im Laufe des Freitags an Möglichkeiten, um das Gerät zu drehen, sodass wenigstens zwei Paneele von der Sonne bestrahlt würden. Allerdings war Philaes genaue Position noch nicht bekannt. Denn auch Holger Siercks, Principal Investigator für die Rosetta-Mission beim Großteleskop Osiris, konnte keine Fortschritte vermelden. "Wir suchen Philae nach wie vor in einer Fläche von zwei Quadratkilometern. Was wir bereits haben, sind Aufnahmen vom Lander, als er sich etwa 500 Meter über dem Boden befand, und seine Positionen in den Momenten des Abprallens", sagte Siercks.
Ein weiteres Problem: Eine der Stützen des Minilabors hängt in der Luft. Und weil zwei der drei Harpunen, mit denen sich der Roboter im Kometenboden verankern sollte, nicht funktionierten, steht er nicht so stabil, wie er sollte. Trotzdem habe er sich seit der Landung nicht bewegt, betonten die ESA-Forscher. Aus genau diesem Grund ließen sie Philae am Freitag eine Bohrung vornehmen - einen der geplanten Versuche, um mehr über die Bodenbeschaffenheit von Tschuri herauszufinden. Die Daten drohten allerdings, nicht Erde zu erreichen. "Wir sind nicht sicher, ob Philae ausreichend Energie für die Übertragung hat", sagte Ulamec. Die Forschungsarbeiten ohne die Bohrung würden "70 bis 80 Prozent der erwarteten wissenschaftlichen Daten für die erste Lebensphase" des Roboters ergeben.
Philae hatte außerdem unter anderem mit Hilfe von Sensoren die Dichte und die Temperatur der Kometenoberfläche untersucht und mit einem Spektrometer deren Zusammensetzung geprüft. Neben den ersten Fotos sei es auch gelungen, das Tomographie-Projekt "Consert" zu starten. Dabei durchleuchten Philae und ihr Mutterschiff Rosetta den Kometen in Teamarbeit, um mehr über dessen Aufbau zu erfahren.
"Großteil der Experimente in den ersten 60 Stunden"
Die Forscher hoffen, dass das Landegerät einen Großteil der geplanten Experimente auf der Kometenoberfläche ausführen kann. "Das Wichtigste ist, dass alle Instrumente funktionieren", sagte der Planetologe Tilman Spohn in Köln: "Wir können ein gutes Stück von dem abarbeiten, was wir uns vorgenommen haben."
"Philae ist so gebaut, dass er die entscheidenden Messungen schon in den ersten 60 Stunden durchführt", beruhigt Wolfgang Baumjohann, Direktor des Instituts für Weltraumforschung in Graz, der an fünf der 21 Messinstrumente beteiligt ist: "Alle weiteren Messungen sollten diese ersten Ergebnisse vertiefen, bestätigen oder aber widerlegen."
In den kommenden Monaten sollte auch Philae die Veränderungen untersuchen, die Tschuri auf seinem Weg zur Sonne durchläuft. Spätestens im März würde der Komet dann jenen Punkt erreichen, an dem es für Philaes Geräte zu heiß wird. Vor-Ort-Erkenntnisse über Tschuri auf seinem Weg zur Sonne könnten nun ausfallen. Die ESA könnte sich dafür auf das Mutterschiff verlassen müssen, das Ähnliches anhand der aus dem Kometen ausströmenden Gase und Staubpartikel misst. Rosetta ist für etwa 80 und Philae für 20 Prozent der Forschung zuständig.
Wenn Philae nicht gedreht werden kann, um mehr Sonnenlicht zu erheischen, könnte ihm in der Nacht auf Samstag die Energie ausgehen. Das Labor würde dann in einen Ruhezustand übergehen und eventuell wieder aufwachen, wenn der Komet sich der Sonne nähert. Die dann kräftigeren Strahlen könnten ihm die nötige Energie spenden und ihn seine Arbeit wieder aufnehmen lassen. Schon heute kann die erste Landung eines vom Menschen gemachten Geräts auf einem Kometen in der Geschichte der Raumfahrt als historischer Erfolg gefeiert werden. Die ESA-Wissenschafter erhoffen sich von der Kometenmission Rosetta neue Erkenntnisse über die Frühzeit des Sonnensystems und Hinweise auf organische Moleküle, wie sie eine Rolle bei der Entstehung von Leben auf der Erde gespielt haben könnten.