Alexander Van der Bellens Wahlsieg war ohne Zweifel darauf zurückzuführen, dass viele einfach nicht für Norbert Hofer stimmen wollten.
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Die Philosophie - mein zweites Hauptstudienfach nach der Soziologie - ist eine interessante wissenschaftliche Disziplin. Sie ist zweifellos die Hüterin von nüchternem und logischem Denken; viele einzelwissenschaftliche Probleme sieht man weit klarer, wenn sie eine Philosophin durchleuchtet. Philosophen greifen auch Befunde von Fachwissenschaften auf und popularisieren diese - ein durchaus wichtiges Unterfangen, wenn es nicht in Besserwisserei und Schwätzerei zu allem und jedem ausartet.
Die Philosophin Isolde Charim hat jüngst in der "Wiener Zeitung" einen interessanten Essay zur Frage veröffentlicht, wovon sich die Wählerschaft Alexander Van der Bellens von jener der "Rechtspopulisten" unterscheidet, die Norbert Hofer gewählt haben. Letztere seien demnach Vertreter einer alten Parteipolitik, die im Inneren keine gesellschaftliche Veränderung wolle (warum erregte dann allerdings Hofer so viel Anstoß mit seinem Sager "Ihr werdet noch sehen, was ein Präsident alles kann"?) und im Äußeren einen Feind brauche, womit letztlich die Demokratie selbst gefährdet werde. Dem gegenüber sei Van der Bellens Wahlbewegung überparteilich gewesen, mit einer Person im Zentrum, zukunftsgewandt und von "Personen im emphatischen Sinn" getragen.
Van der Bellen als das kleinere Übel gegenüber Hofer
Als Leser ist man verblüfft angesichts einer solchen Logik: Ja, für die vielen aktiven Unterstützer Van der Bellens mag diese Charakterisierung durchaus zutreffen; er selber schrieb diesen seinen überzeugend hohen zweiten Wahlsieg zu. Van der Bellen wurde im ersten Wahlgang allerdings nur von 21 Prozent der Wählenden und 14 Prozent der Wahlberechtigten gewählt. Ich habe in der "Wiener Zeitung" nach dem ersten Wahlgang trotzdem prognostiziert, dass er die Stichwahl gewinnen werde, weil der größte Teil derer, die nicht Hofer wählten, dann Van der Bellen wählen würden.
Die Verdoppelung der Stimmenzahl beim zweiten Wahlgang war also ohne Zweifel darauf zurückzuführen, dass viele Hofer-Nichtwähler Van der Bellen als das kleinere Übel ansahen. Das ist durchaus nicht nur negativ zu sehen, wenn man auch die Demokratie - nach einem berühmten, Winston Churchill zugeschriebenen Ausspruch - als die am wenigsten schlechte aller Regierungsformen betrachtet.
Ein grüner Bundespräsident - keine internationale Sensation
Waren die Aktivisten, die im dritten Wahldurchgang für Van der Bellen kämpften, "überparteilich" im Sinne von Isolde Charim? Wohl noch weniger. Ihnen ging es vor allem darum, das Übel Hofer zu bekämpfen - genauso wie die mehr als 600 internationalen Journalisten und Fernsehteams nur nach Wien gekommen waren, um von der Sensation des Wahlsiegs eines "extrem Rechten" (so die Bezeichnung in allen französischen, englischen und anderen ausländischen Medien, die ich am Wahlabend in Internet selber las) zu berichten. Sie mussten unverrichteter Dinge abziehen - dass ein Grüner zum Präsidenten gewählt worden war, war keine Sensationsmeldung.
Ich gebe Isolde Charim vollkommen recht darin, dass ein Freund-Feind-Denken in der Politik höchst problematisch ist. Es war eine der Hauptursachen für den Niedergang des politischen Systems in Italien (wo die starke kommunistische Partei jahrzehntelang von der Macht ferngehalten wurde), und es ist die Hauptursache für die Misere des politischen Systems in Österreich. So wie es jetzt aussieht, wird wohl bei der nächsten Nationalratswahl kein Weg an einem FPÖ-Bundeskanzler vorbeiführen.