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Pilze jenseits des Tellerrands

Von Kerstin Viering

Wissen
Sein Kalbfleischgeschmack wird geschätzt: der Austernpilz.
© © Quade - Fotolia

Pilze könnten in den Kläranlagen Medikamentenrückstände beseitigen.


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Berlin. Austernpilze werden in vielen Kochbüchern wegen ihres "feinen Kalbfleischgeschmacks" gelobt. Kein Wunder also, dass sie zu den beliebtesten und am häufigsten kultivierten Speisepilzen überhaupt gehören. Lukas Y. Wick und seine Kollegen vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig interessieren sich allerdings nicht aus kulinarischen Gründen für die Delikatesse mit dem wissenschaftlichen Namen Pleurotus ostreatus. In ihrer Sammlung wächst die Küchenspezialität gleichberechtigt neben Schimmelpilzen oder Erregern von Pflanzenkrankheiten. Denn die Forscher betrachten die Welt der Pilze aus einem ungewöhnlichen Blickwinkel. Für sie sind das alles potenzielle Helfer im Kampf gegen Schadstoffbelastungen. "Pilze haben viele Talente, die zum Abbau von giftigen Chemikalien beitragen können", sagt Wick.

Wenn lebende Helfer für die Sanierung belasteter Böden oder Gewässer gesucht sind, fällt die Wahl meist auf Bakterien. Denn darunter gibt es viele, die einen großen Appetit auf Schadstoffe entwickeln. Sie ernähren sich etwa von Erdölbestandteilen oder dem krebserregenden Benzol und wandeln die Substanzen in harmlosere Verbindungen um. Zwar sind auch viele Pilze durchaus in der Lage, problematische Verbindungen zu zersetzen. Nur wachsen sie oft langsamer, arbeiten weniger effektiv oder stellen höhere Ansprüche an ihre Umwelt. Deshalb waren sie als Entgiftungs-Mitarbeiter bisher weniger gefragt. "Es gibt allerdings Situationen, in denen die Bakterien an ihre Grenzen stoßen", erklärt Wick. "Und dann können die Pilze ihre Stärken ausspielen."

So haben Bakterien im Boden oft Schwierigkeiten mit Substanzen, die sich nur schlecht in Wasser lösen. Dazu gehören etwa die polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffe (PAK), die in Kohle und Erdöl vorkommen und bei praktisch allen Verbrennungsprozessen freiwerden. An vielbefahrenen Straßen kann das Erdreich ebenso damit belastet sein wie an Flughäfen oder in der Umgebung von alten Gaswerken. Da etliche dieser Verbindungen als krebserregend gelten, wäre man sie dort gern wieder los.

Kilometerlange Pilzfäden

Es gibt im Boden auch durchaus Mikroben, die diese Chemikalien abbauen können. Das Problem ist nur, dass diese Bakterien die Substanzen oft gar nicht erreichen. Denn die kaum löslichen PAK heften sich an Bodenpartikel. Dort aber kommen die Bakterien nicht hin, weil sie sich nur in Wasser oder in dünnen Flüssigkeitsfilmen aufhalten können. Zwischen ihnen und ihrer Schadstoff-Nahrung liegen Barrieren aus Luft.

Pilze haben mit solchen Hindernissen kein Problem. Viele der Organismen durchziehen das Erdreich mit einem weitläufigen Geflecht aus feinen Fäden, die Mikrobiologen "Hyphen" nennen. Diese nur wenige tausendstel Millimeter dünnen Strukturen wachsen im Wasser und in der Luft und dringen in die feinsten Bodenporen. In einem einzigen Gramm Boden finden sich mitunter bis zu 10 Kilometer Pilzfäden. Zusammen bilden diese Hyphen gewaltige Netzwerke, die sich über etliche Quadratkilometer erstrecken können. Pilze sind damit nicht nur die größten Lebewesen der Welt, sondern stellen im Erdreich auch eine wichtige Infrastruktur bereit.

So bilden die feinen Fäden eine Art Autobahnnetz, auf dem Bakterien bequem durch den Boden reisen. Doch nicht nur Mikroorganismen, sondern auch Schadstoffe nutzen die Pilzgeflechte als Reiserouten. Gemeinsam mit britischen Kollegen von der Lancaster University hat das Team um Wick nachgewiesen, dass Phenantren und verschiedene andere PAK durch die Zellwände ins Innere der Hyphen eindringen. Je kleiner die Schadstoffmoleküle sind, umso besser klappt das. Im Inneren werden die Verbindungen dann in kleine Bläschen eingeschlossen und aktiv durch das weitläufige Netzwerk gepumpt. Dabei kommen die Schadstoffe zehn- bis hundertmal so schnell voran wie durch einfache Diffusion.

Wenn aber sowohl die Bakterien als auch deren Schadstoff-Mahlzeiten in Bewegung kommen, finden beide womöglich besser zusammen. Ein gezielter Einsatz von Pilzgeflechten könnte also den Abbau von PAK und vielleicht auch von anderen wasserunlöslichen Schadstoffen beschleunigen.

Die UFZ-Forscher fahnden nach den passenden Partnern für ihr mikrobielles Schadstoffbeseitiger-Team. Auf einem mit Ölbestandteilen belasteten Gelände testen sie nicht nur, welchen Einfluss die fadenförmigen Autobahnen und Pipelines in der Praxis auf den Schadstoffabbau haben. "Wir wollen auch wissen, welche Pilze und Bakterien dabei zusammenarbeiten und unter welchen Bedingungen solche Kooperationen besonders gut funktionieren", erläutert Wick.

Großer Werkzeugkasten

Pilze besitzen auch selbst einen reich bestückten Werkzeugkasten voller Enzyme, die Substanzen abbauen können. Viele Pilzarten leben von Holz. Um dieses Material zu zersetzen, geben ihre Zellen zunächst bestimmte Enzyme nach außen ab. Wie biochemische Äxte zerhacken diese das Material in kleinere Teilchen, die der Pilz dann durch die Zellwände aufnehmen kann. Ein Bakterium hingegen, das einen Schadstoff abbauen soll, muss zunächst ein speziell dafür geeignetes Enzym entwickeln. Das aber kostet Energie. Also betreiben die Mikroben diesen Aufwand nur für Nahrungsquellen, die auch in größeren Mengen zur Verfügung stehen.

Ein Pilz aber nutzt ohnehin Allzweckwerkzeuge. Und das kann für den Abbau von Schadstoffen interessant sein, die in der Umwelt nur in geringen Konzentrationen vorkommen. Dazu gehören etwa Rückstände von Medikamenten, die über die Toilettenspülungen ins Abwasser geraten. Kläranlagen können gegen diese Substanzen bisher nur wenig ausrichten. Also landen die Hormone aus unzähligen Anti-Baby-Pillen im Fluss. Selbst in geringsten Mengen aber können diese Verbindungen weitreichende Veränderungen auslösen, einige männliche Wassertiere verwandeln sich unter ihrem Einfluss sogar in Weibchen. Vielleicht kann die Pilz-Axt in der Kläranlage künftig auch solche unerwünschten Nebenwirkungen verhindern.