Trump und der Brexit verhalfen dem Schummelwort "postfaktisch" zum "Wort des Jahres". Die rechtsstaatliche Politik ist dringend gefordert.
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"Angst ist eine gute Sache, sie bringt Politiker zum Agieren." Nach diesem Berufsethos betreibt Stephen Bannon seine US-Internetplattform "Breitbart News" mit fast 40 Millionen Nutzern. Er lenkte Donald Trumps Wahlkampf, heute ist er Chefberater des künftigen US-Präsidenten. Und er charakterisiert den beklemmenden globalen Wandel im Jahr 2016: Trumps Wahlsieg, der Brexit und "postfaktisch" - dieses "Wort des Jahres" öffnete dem Stau an Lügen die Schleusen, denn es ist zusammengekleistert aus "post" für "hintan, hernach" und "Fakten". Emotionen wie Angst, Wut oder Hass sind wichtiger als beweisbare Fakten. Psychopathologisch ist "postfaktisch" die verzerrte Wahrnehmung der Realität, politisch ist es eine absichtliche Irreführung. Und es ist die weichgespülte Übersetzung des englischen "Post-Truth", der "hintangesetzten Wahrheit", also der Lüge. So forderte nach der Vergewaltigung eines russischen Mädchens durch einen Asylbewerber in Deutschland Präsident Wladimir Putin Genugtuung für "unser Mädchen" - bis sich das angebliche Verbrechen als rassistische Lüge entpuppte, die im Internet Massenempörung ausgelöst hatte.
Trump hat bereits seinen Platz in der Geschichte. Er durchbricht die Grenzen des Anstands, führt die Gossensprache in die hohe Politik ein und biegt heute seine Lüge von gestern ins postfaktische Gegenteil um. Um Blamagen durch harte Fakten zu verhindern, weicht er erfahrenen Interviewern und Pressekonferenzen aus. Wie massiv das postfaktische Virus die Demokratie gefährdet, belegt das Votum für den Brexit. Entscheidend trug dazu der Rechtspopulist Nigel Farage mit dem Versprechen bei, die wöchentlich 460 Millionen Euro für die EU ins britische Gesundheitssystem umzulenken - nach Abzug der finanziellen Rückflüsse sind es aber netto nur 146 Millionen. Nach dem Referendum gestand Farage die Falschinformation, das europaweite Unheil war aber bereits angerichtet.
Trump führt auch die rechtspopulistische Riege der Putin-Versteher an. Putin ist für ihn "ein großartiger Staatsmann", obwohl er die Krim annektiert hat und seine Luftwaffe in Aleppo Zivilisten, Spitäler und Schulen bombardiert. Die Front-National-Chefin Marine Le Pen erklärt, Russland werde "auf Anordnung der USA verteufelt". AfD-Politiker pil-
gern nach Moskau und fordern vor russischen TV-Kameras das Ende der Sanktionen und "polarisierenden" Medienberichte über Russland. Die Pegida skandiert: "Merkel nach Sibirien, Putin nach Berlin!" FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache lobt: "Putin ist ein reiner Demokrat, aber mit einem autoritären Stil."
Die neuen Internetmedien füttern ihr Publikum mit Postfaktischem, Fake-News und Hasspostings. Und unzureichend sachkundige Konsumenten verwechseln nur zu leicht Stimmungsmache mit Information. So entsteht ein Saatfeld für Populisten und Lügner, die Meinungsfreiheit wird vergiftet. Die rechtsstaatliche Politik muss sich nachhaltig einmischen und gesetzliche Schutzdämme aufschütten.
Mit zwei Fragen ließen sich Postfaktiker entzaubern: Soll man Verkehrsampeln postfaktisch interpretieren? Und sollen Physik, Mathematik, Geschichte oder Fremdsprachen postfaktisch unterrichtet werden?