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Santiago de Chile · Wer auf dem Flughafen stehen kann, der kann auch vor Gericht stehen. Diese schlichte Formel könnte den chilenischen Ex-Diktator Augusto Pinochet nun doch noch in einen | Gerichtssaal bringen. Und das ausgerechnet dort, wo er am wenigsten damit rechnen musste, in seiner südamerikanischen Heimat.
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Die wundersame "Auferstehung" des angeblich schwer kranken Patienten aus dem Rollstuhl zu Marschmusik und unter dem Beifall hunderter geladener Gäste am Freitag auf dem Flughafen von Santiago hat
die demokratische Regierung Chiles zu Hause und international blamiert. Nun kann sie kaum anders, als sich mit aller Macht dafür einzusetzen, dass sich der 84-Jährige der Justiz stellen muss.
"Hier weht ein anderer Wind"
Daran wollte der im Jänner gewählte Präsident Ricardo Lagos, der als Sozialist selbst die Verfolgung durch Pinochets Schergen erlitten hat, keine Zweifel lassen. "Meine Regierung wird eine
gewaltige Anstrengung unternehmen, um der Welt zu beweisen, dass dies ein demokratisches Land ist, in dem die vom Volk gewählten Institutionen die Macht ausüben, und dessen Streitkräfte diszipliniert
und gehorsam sind und nicht tun können, was sie wollen", sagte er. "Hier weht ein anderer Wind", hatte Pinochet nach fast eineinhalb Jahren Hausarrest in London zu seinem Sohn Marco Antonio bei der
Begrüßung auf dem Flugfeld gesagt. Der Wind könnte ihm bald ins Gesicht blasen.
Das demokratische Chile fühlte sich und die Nation lächerlich gemacht. Die Empörung der Regierung wurde auch durch das längst überwunden geglaubte arrogante Auftreten der Militärs am Rande der
Begrüßungsfeierlichkeiten ausgelöst. Zackige Offiziere und Männer in Zivil mit den berüchtigten dunklen Sonnenbrillen vertrieben lange angemeldete Journalisten vom Rollfeld. "Verschwinden Sie und
zwar sofort", wurden überraschte Journalisten mitten in Live-Übertragungen angeherrscht. Angesichts der Kritik der Regierung an der Zeremonie wollte man wohl unter sich sein, genauso wie früher.
Beschämendes Spektakel
Dass die Journalisten nach massiven Protesten nur eine halbe Stunde später ihre Plätze doch wieder einnehmen durften, zeugt jedoch auch davon, dass die Militärkaste nicht mehr allmächtig ist.
Heereschef Ricardo Izurieta verzichtete auf einen Roten Teppich und eine Begrüßungsansprache. Für die so sehr in Symbole verliebten Militärs sicher ein schmerzliches Opfer. "Diese einfache und
nüchterne Empfangszeremonie zeugt dennoch von der Geschlossenheit der Streitkräfte. Wir waren immer an der Seite dessen, der die Militärregierung derart erfolgreich geführt hat", sagte der frühere
Vize-Heereschef, General Rafael Villarroel. Regierungsmitglieder äußerten anschließend ihre "Scham" über das Spektakel.
Gegen Pinochet liegen inzwischen 61 Strafanzeigen vor. Der Ermittlungsrichter, der in etwa die Funktionen eines deutschen Staatsanwaltes wahrnimmt, hat bereits eine Untersuchung des Geisteszustands
des Heimkehrers beantragt. Nur Schwachsinn des Angeklagten steht in Chile einem Prozess entgegen. Anwälte von Opfern hatten bereits zuvor die Aufhebung der Immunität Pinochets als nie gewählter
Senator auf Lebenszeit beantragt.