2005 ist von der UNO zum "Jahr des Microfinance" deklariert worden. Der Begriff umschreibt seriöse Geldgeschäfte mit wenig begüterten Menschen aus Entwicklungsländern, die bisher keine Chance hatten, Kredite zu bekommen. Wie das System funktioniert, lässt sich an einigen Beispielen aus Bolivien gut erkennen.
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Er hat nichts mit dem gleichnamigen Schlagersänger zu tun. Aber Roberto Blanco aus der bolivianischen Metropole La Paz ist ein junger Mann von ausgesuchter Höflichkeit. Er arbeitet bei der Caja los Andes. Das Finanzinstitut vermittelt Kredite an jene Kunden, welche sonst bei den Banken kein Geld erhalten. Es hat sich auf Kleinstkredite spezialisiert, die Existenzgründern den Aufbau einer Firma ermöglichen sollen.
Teresa Fernandez wundert sich, dass Blanco zu Besuch kommt. "Nein, es gibt keine Probleme. Sie gehören zu unseren treusten Kundinnen. Deshalb sind wir hier. Damit Sie etwas über ihr Geschäft, erzählen." Der Laden liegt in der Calle de las Brujas, der Hexenstrasse mitten in der bolivianischen Metropole La Paz.
15 Dollar Kredit
Teresa Fernandez setzt beruhigt ihren fülligen Köper auf einen braunen Schemel. Dann drapiert sie einen Bus und ein Haus aus Zuckerguss auf ein Tischchen, streut etwas Steinmehl und Kräuter darum herum und nimmt einen mumifizierten Lamafötus zur Hand. "Ich führe seit 30 Jahren einen kleinen Laden, in dem Hexerinnen und Hexer die Zutaten für Zeremonien kaufen. Meist drehen sie sich um Fruchtbarkeit, eine goldene Zukunft oder die Abwehr böser Verwünschungen." Um Materialien einkaufen zu können, um die Steuern für das Haus zu zahlen und dem Sohn eine universitäre Ausbildung zu ermöglichen, nahm Teresa Fernandez 1996 einen ersten Kredit in der Höhe von umgerechnet 15 Dollar auf.
Der neueste Kredit, den sie im Juli erhielt, beläuft sich auf 3.500 Dollar. "Sie zahlt pünktlich ihre Raten. Ihre Kreditwürdigkeit ist ständig gestiegen", erklärt Roberto Blanco, der als Vertreter der Caja los Andes ständig auf der Suche nach zuverlässigen Kleinstunternehmern ist. Manchmal wird Geld benötigt, um einen kleinen Kiosk zu eröffnen, um einen Stand für Fruchtsäfte mit einem neuen Mixer auszustatten oder als Überbrückung für die Zeit zwischen Materialeinkauf und dem Verkauf eines Endproduktes.
Keine faulen Geschäfte
Blanco wirbt Kunden an und prüft gleichzeitig deren familiäres Umfeld und das Geschäft. Er beurteilt die Marktchancen, die Sauberkeit und Ordnung eines Geschäftes sowie die Präsentation der Ware. So kann er den zukünftigen Cash-flow eines Unternehmens einschätzen. Im Schnitt muss er 20 Prozent der Kunden zurückweisen. Faule Kredite werden ihm von seiner Bonifikation abgezogen. "Dann habe ich einen Fehler gemacht und mich bei der Einschätzung des Kunden geirrt", erklärt Blanco.
Früher hatten Kleinunternehmer in den meisten Entwicklungsländern keinen Zugang zu Krediten. Sie durften ihre Sparguthaben bei der Bank deponieren, doch das Geld wurde nur den Reichen geborgt. "Bei uns ist es umgekehrt. Die Reichen dürfen hier ihr Geld deponieren, aber wir vermitteln es nur kleineren und mittleren Betrieben. Wir wollen den Pionieren eine Chance geben", erklärt Pedro Arriola, Geschäftsführer der Caja los Andes.
Das Geldinstitut fing 1992 unter dem Namen "Pro-Crédito" mit finanzieller Hilfe der deutschen GTZ (Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit) als Nichtregierungsorganisation an. Inzwischen arbeitet die Caja los Andes als Aktiengesellschaft. Ab 2005 wird sie eine spezialisierte Bank sein. Heute schon bietet sie neben Sparkonten und Kreditvergabe auch andere Bankdienstleistungen an: Internationale Geldüberweisungen, Kreditkarten und das Geschäft mit Schecks.
Zudem gehört die Caja los Andes über ihren Hauptaktionär, die "Internationale Microinvestionen AG" mit Sitz in Frankfurt, zu dem internationalen ProCredit Netzwerk mit Microfinance-Instituten.
Der große Konkurrent heißt BancoSol. Im Oktober konnte Los Andes die BancoSol erstmals überflügeln. Während das bolivianische Finanzsystem in den letzten Jahren 30 Prozent an Wert verlor, legten die Finanzierer der Kleinstunternehmen kräftige Wachstumszahlen hin. Mit einem Kreditvolumen von 381 Millionen Dollar sind sie zwar noch klein im Vergleich zum 2,2 Milliarden Dollar starken konventionellen Bankensektor, aber die auf Mikrofinanz spezialisierten Banken bedienen zusammen mit den Nichtregierungsorganisationen, welche im ländlichen Raum zinsgünstige Agrarkredite vergeben, zwei Drittel aller Kreditkunden.
Relativ hohe Zinsen
Das entspricht der Ziffer der Armen Boliviens. Caja los Andes und BancoSol verlangen mit 22 Prozent Jahreszins zwar einen wesentlich tieferen Zins als private Geldverleiher. Er ist aber höher als bei traditionellen Banken.
Arriola verteidigt dies: "Wir haben für Kleinkunden den gleichen Aufwand bei der Klärung der Kreditwürdigkeit wie bei großen Kunden. Für Kleinunternehmer ist eine langfristige Entwicklung der Bank besonders wichtig. Deshalb brauchen wir diese Zinsen, um unsere Zukunft abzusichern."
Früher bekamen Kleinunternehmer manchmal im Rahmen eines Entwicklungshilfsprojektes einen kleinen Zuschuss. Dann lief das Projekt aus, und die Leute standen wieder vor dem Nichts. Arriola möchte für die Kleinstunternehmer ein Partner sein, bei dem sie auch noch in zehn Jahren Kredite bekommen.
Die Kunden sind je zur Hälfte Männer und Frauen. Fast 50 Prozent bezogen 2003 einen Kredit unter 500 Dollar. Die durchschnittlichen Kredithöhe beträgt aber 1.623 Dollar. Die 33 Filialen im Land haben zur Zeit beinahe 100 Millionen Dollar ausgeliehen. Das ist gegenüber dem Jahr 2000 eine Verdoppelung.
Die Gelder sind sicher angelegt. Bei der Risikoqualifikation von internationalen Ratingagenturen bekamen die Mikrokredit-Banken die Note A1 und lagen damit vor den traditionellen Banken in Bolivien. Manche Banker hatten das Geschäft mit den Armen als risikoreich einschätzten. Nun ist es umgekehrt.
"Survival Economy"
Das hat seine Gründe: Viele Kunden arbeiten in der so genannten Survival Economy, die krisenresistent ist. Das haben die letzten Jahre bewiesen. Den Kreditnehmern fällt es im Gegensatz zu größeren Unternehmern nicht schwer, an einem Tag Fruchtsäfte zu verkaufen und am nächsten Tag mit Alpakawolle zu handeln. Arriolo lobt seine Kunden: "Es sind arbeitsame Leute, die manchmal nur eine kleine Überbrückung brauchen."
Das beste Beispiel dafür sind Sara Jordan und ihr Mann Jorge. Sie stellen in der eigenen Werkstatt unter ihrem Markennamen "Sure" vor allem Fußballdressen her. Das Geschäft ist zyklisch. Zwischen Oktober und Februar ist Regenzeit und die Meisterschaften ruhen. Ausgerechnet im Dezember, wenn die Meisterschaft vor der Türe steht und das Geld langsam ausgeht, füllen sich die Bestellungsbücher. Noch im letzten Jahr musste Sara Jordan bei einigen Kunden abwinken. "Ich hatte kein Geld mehr, um Material zu kaufen." Das ändert sich heuer. Ein Kredit in der Höhe von 3.500 Dollar ermöglichte ihr den Kauf einer neuen Nähmaschine und genügend Material, um den Ansturm der Fußballer zu parieren. Damit sichert sie die Arbeitsplätze ihrer Familie und die Einkünfte der bis zu 10 Teilzeitangestellten.
In ihrem Nähatelier, welches nur über eine steile Treppe erreicht werden kann, sagt sie: "Dank Mikrokredit beginnt für mich und viele Kleinproduzenten in dieser Straße eine neue Zeit." n