Die PISA-Studie stellt Basiskompetenzen für einen lebenslangen Wissenserwerb und nicht Lehrplanwissen in den Vordergrund. Das ist ein Faktor, der das schlechte Abschneiden Österreichs erklärt. Zu diskutieren wäre daher, ob die Zielsetzungen unseres Schulsystems noch stimmen.
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Über die PISA-Studie 2003 wurde viel geschrieben. In Österreich wurde von den Medien umgehend der starke Absturz im Ranking bejammert. Diese Berichterstattung war nicht ausgewogen, aber wie bekannt ist, kann nur mit der Polarisierung Stimmung gemacht werden. Für die meisten Parteien war diese Welle der Berichterstattung ein willkommener Anlass, ihre ideologisch gefärbten Forderungen aufs neue zu postulieren.
Diese Vorgangsweise erscheint mir kurzsichtig. Kurzsichtig deshalb, weil es doch, so glaube ich zu hören, allen um eine Weiterentwicklung des Systems geht. Auch wenn über die Richtung keine Übereinstimmung herrscht, so doch darüber, dass etwas passieren muss. Dies wurde ja mit der Zukunftskommission unterstrichen - sofern man guten Willen unterstellt und nicht davon ausgeht, dass deren Empfehlungen gar nicht gewünscht waren.
Warum also kurzsichtig? Kurzsichtig, weil damit in erster Linie das alte Feindbild Schule und die dort arbeitenden Lehrer wieder aktiviert wurden. Damit lässt sich Stimmung machen. Würde man ernsthaft überlegen einen Veränderungsprozess einzuleiten, so wäre dies eine der ungeschicktesten Varianten. Will man aber Veränderung verhindern, so ist dies ein trefflicher Auftakt.
Eine ausgewogene Berichterstattung hätte aus meiner Sicht erst darüber aufklären müssen, was denn eigentlich die Ziele der PISA-Studie sind. Bei den PISA-Untersuchungen stehen allgemeine Basiskompetenzen für den lebenslangen Wissenserwerb und nicht das reine Lehrplan-Wissen im Vordergrund. Dadurch lassen sich einige Unterschiede erklären. Gerade in Österreich wird oft sehr stark prüfungsorientiert gelernt/gelehrt. Was beim PISA-Test nicht unbedingt von Vorteil ist.
Die Zielsetzung der Studie erklärt sich auch daraus, dass die OECD Auftraggeber ist. Mit der PISA-Studie soll dazu beigetragen werden, dass in den Schulen jene Qualifikationen - nicht nur, aber auch! - eingeübt werden, die dann im Berufsleben gefordert werden.
Betrachtet man also die Zielsetzung, so wird deutlich, dass die in der Studie einbezogenen Schulsysteme allein aufgrund ihrer Konzeption nicht die gleichen Startvoraussetzungen haben.
Anstatt aber einfach über einen Leistungsabfall zu diskutieren wäre es wohl ebenso wichtig, sich darüber zu unterhalten, ob die Zielsetzungen des Schulsystems, und folglich sein Aufbau noch zeitgerecht sind. Durch den Vergleich im Rahmen der PISA-Studie wird stillschweigend unterstellt, dass alle Länder die gleichen Zielsetzungen für ihr Schulsystem haben. Es ist schon klar, dass im 21. Jahrhundert wohl ein hoher Grundkonsens diesbezüglich besteht, aber ohne nachzudenken über diesen Punkt hinwegzugehen, scheint mir vorschnell gehandelt.
Bei der Darstellung der Ergebnisse von PISA 2003 wurde vielfach Finnland als Referenzmodell herangezogen. Was nicht erwähnt wird ist, dass Dänemark über ein weitgehend vergleichbares System wie Finnland verfügt - und deutlich schlechter abschneidet. Diese "Lücke" in der Darstellung mag für die Agitation hilfreich sein, zur Lösung der scheinbaren Probleme trägt sie nicht sonderlich bei.
Einfach zu sagen, "Finnland ist besser, und deshalb brauchen wir auch so ein System wie die", scheint mir zu einfach. Wer spricht darüber, welche Zusammenhänge es in Finnland zwischen Schule und Gesellschaft gibt? Und wer spricht darüber, dass in Finnland die Abschlussnoten sehr wohl Einfluss auf die spätere Laufbahn, etwa Zugang zur Universität, haben?
Es ist schwer nachvollziehbar, wenn ein System wie in Finnland gefordert wird (Gesamtschule), gleichzeitig aber der freie Hochschulzugang in der Verfassung verankert werden soll.
Mein Eindruck ist, dass das Schulsystem instrumentalisiert wird, ohne dass den Beteiligten wirklich an einer Lösung liegt. Nur ein krankes System bietet jedem selbsternannten Heiler die Chance sich wichtig zu machen. Die Betroffenen, Kinder, Jugendliche, Lehrer und das System selbst werden nur kränker.
Dr. Stephan Berchtold ist Bildungsforscher an der WU Wien