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Washington - Die Kriegserklärung ist weiter aufgeschoben. Und doch hat US-Präsident George W. Bush in der Nacht zum Mittwoch in seiner Rede zur Lage der Nation bereits ein Plädoyer für den Feldzug gegen Saddam Hussein abgeliefert. Mit großem Pathos appellierte er auch schon an die am Golf aufmarschierten US-Soldaten, sich auf die "entscheidenden Stunden" gefasst zu machen: "Euer Training hat Euch vorbereitet. Eure Ehre wird Euch lenken."
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Zwar kündigte Bush zugleich eine neue diplomatische Offensive bei der UNO an - nach seiner leidenschaftlichen Anklage gegen Saddam scheint eine friedliche Lösung der Krise aber kaum noch möglich.
Durch den wirtschafts- und sozialpolitischen Teil seiner Ansprache arbeitet sich Bush eher lustlos durch. Auch Iran und Nordkorea, die er vor einem Jahr noch zu Teilen der "Achse des Bösen" erklärt hatte, waren ihm nur einige eher routinemäßige Rügen wert. Erst als er im Schlussteil seiner knapp einstündigen Rede endlich auf seinen Erzfeind Saddam Hussein zu sprechen kam, lief der Präsident zur höchsten Form auf. Wieder geißelte er den Herrscher in Bagdad als Inkarnation des "Bösen". Und ebenso eindringlich wies er die Forderungen zurück, er solle Belege für eine "unmittelbare Bedrohung" vorlegen: "Seit wann geben Terroristen und Tyrannen ihre Absichten bekannt und setzen uns höflich in Kenntnis, bevor sie zuschlagen?". Dennoch will der US-Präsident die Schonfrist für Saddam Hussein zumindest noch für eine Weile verlängern. Trotz der Kontroversen im Sicherheitsrat sieht er offenbar noch eine letzte Chance, die UNO auf seinen harten Kurs einzuschwören. Deshalb wird es in den nächsten Tagen einen neuen Anlauf der US-Diplomatie geben, widerspenstige Alliierte auf Linie zu bringen - wichtiger als die Deutschen sind dabei die Franzosen, da diese im Sicherheitsrat über ein Vetorecht verfügen.
Die neue diplomatische Offensive ist nicht zuletzt eine Konzession an die Stimmungslage in der Bevölkerung, die nach den Umfragen mehrheitlich einen Waffengang in Irak nur im multilateralen Rahmen will. Schon vor der Rede hatte das Weiße Haus verlauten lassen, dass der Präsident ein neues Mandat des Sicherheitsrats zur Legitimierung des Krieges zwar nicht für "unbedingt notwendig" hält, aber für durchaus "wünschenswert". Nun will Bush seinen Außenminister Colin Powell am kommenden Mittwoch erneut in den Sicherheitsrat entsenden, um neues Beweismaterial gegen den Irak zu präsentieren. Daraus werde hervorgehen, dass Saddam Hussein Massenvernichtungswaffen vor den Inspektoren verstecke und mit Terrorgruppen zusammenarbeite, kündigte der US-Präsident an.
Konsens nicht notwendig
Doch Bush machte auch klar, dass ein Konsens mit den Verbündeten für ihn zwar ein angenehmes Beiwerk wäre, aber keineswegs notwendige Bedingung für den Kriegsbefehl: Der Kurs der USA "hängt nicht von den Entscheidungen Anderer ab". Er werde alles tun, "um die Freiheit und Sicherheit des amerikanischen Volkes zu verteidigen", rief der Präsident unter Applaus in den Saal. Wichtiger als die Zustimmung des Sicherheitsrats ist ihm zweifellos die der einheimischen Wählerschaft.
Seine Rede war insofern vor allem darauf angelegt, die skeptische US-Bevölkerung von der Realität der irakischen Bedrohung zu überzeugen. Der Präsident führte deshalb nicht nur auf, über den Verbleib welcher biologischen und chemischen Kampfmittel der Herrscher in Bagdad die UN-Kontrollore bisher im Unklaren gelassen habe. Und er erneuerte auch nicht nur den Vorwurf, dass der Irak Aktivitäten zum Erwerb von Atomwaffen verschleiere.
Sein Plädoyer gegen Saddam Hussein gipfelte in dem Vorwurf, dass dieser "Terroristen, darunter Mitglieder von El Kaida" protegiere. Geheim und "ohne Fingerabdrücke zu hinterlassen" könne er seine Massenvernichtungswaffen und sein Know-how an die Terroristen liefern. In einer Bevölkerung, der weiter die Furcht vor dem Terror in den Knochen sitzt, könnten solche dramatischen Warnungen durchaus Wirkung zeigen.