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Ökonom Engelbert Stockhammer über kontraproduktives EU-Krisenmanagement und fragwürdige Schuldenpolitik.
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"Wiener Zeitung": Die neueste Prognose des Internationalen Währungsfonds (IWF) ist pessimistisch. Europa, Asien und die USA werden ihre Wachstumsfähigkeit wahrscheinlich für lange Zeit, wenn nicht für immer verlieren. Der Wohlstand sinkt, neue Verteilungskämpfe drohen. Bleibt Wachstum trotzdem das Leitthema der Wirtschaft?Engelbert Stockhammer: Ja, weil die Arbeitslosigkeit direkt vom Wirtschaftswachstum abhängig ist. Die Ökonomen nennen das Okuns-Gesetz. Das ist eine sehr robuste empirische Regel. Für die Staatshaushalte bleibt Wachstum zentral. Wenn man die beiden Faktoren entkoppeln wollte, müsste man sich sehr radikale Formen der Arbeitszeitverkürzung überlegen, die momentan nicht am Tisch sind. Aber die neue IWF-Prognose ist für die Mainstream-Ökonomie ein großer Schritt.
Geht Wachstum immer auf Kosten der Umwelt?
Es ist einiges an Wachstum möglich, das zumindest in Maßen umweltverträglich wäre. Es bedarf einer Umstellung der Energiewirtschaft auf erneuerbare Energien, das ist ein Riesen-Investitionsprogramm. Das Gleiche gilt für den Verkehr. Die Alten- und die Kinderbetreuung sind auch umweltschonende Wachstumsbereiche. Wenn man einen längeren Zeitraum von etwa 20 Jahren betrachtet, gibt es einige Sektoren, die wachsen können und die für die wirtschaftliche Erholung sehr zentral wären.
Wir erleben eine Renaissance linker Theorien, der IWF gibt Fehler beim Krisen-Management zu. Gute Zeiten für kritische Ökonomen?
Innerhalb der Mainstream-Organisationen hat eine gewisse Selbstreflexion begonnen. Von einem Umdenken würde ich aber nicht sprechen. Der IWF hat mehrere wichtige selbstkritische Papiere veröffentlicht und sogar IWF-Chefökonom Olivier Blanchard schrieb, man habe in den eigenen Modellen die fiskalpolitischen Multiplikatoren gewaltig unterschätzt.
Es gibt auch viel Kritik zum Management der Griechenland-Krise. Eigentlich muss der IWF die längerfristige Zahlungsfähigkeit prüfen, bevor er Kredite vergibt, und es gibt Stimmen, die sagen, dass das nicht ordnungsgemäß abgelaufen ist. Die Kreditvergabe war nicht per se schlecht. Aber bei der Frage, ob Griechenland jemals seine Schulden bezahlen kann, ist es wichtig zu wissen, ob die Nachhaltigkeit der Kredite korrekt geprüft wurde.
Wird Griechenland seine Schulden jemals zurückzahlen können?
Die kurze Antwort ist nein. Wenn Europa nicht einen radikalen Wechsel in der eigenen Wirtschaftspolitik macht.
Wie lautet hier Ihr Vorschlag?
Eine wesentlich expansivere Politik in den zentralen Ländern und eine Wirtschaftspolitik, die eine höhere Inflation zulässt. Es gibt zwei Methoden, aus zu vielen Schulden herauszukommen. Entweder es gibt einen Inflationsschub oder es gibt einen Schuldenschnitt. Die dritte Variante wäre ein Wachstumsschub, aber das ist für Griechenland nicht möglich.
Das klingt nach Ihrem Ökonomie-Kollegen, dem griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis.
Ich finde das sehr gut, dass jemand wie er in so eine Position kommt. Es ist politisch sehr bemerkenswert, was in Südeuropa passiert. Es sieht ja auch so aus, als ob Spanien zumindest teilweise in diese Richtung geht. Die alten Zentrum-Links-Parteien werden durch weiter links stehende ersetzt. Wenn man sich allerdings die Programme dieser linken Parteien ansieht, muss man sagen, dass die nicht wesentlich radikaler sind als jenes von Bruno Kreisky und der Sozialdemokratie der Siebziger sehr ähneln. Da wird sehr übertrieben. Aber für das heutige politische Spektrum ist das ein deutlicher Richtungswechsel.
Seit der Krise sinken die Reallöhne. In Österreich soll die Steuerreform Einkommen entlasten. Sind Lohnerhöhungen der richtige Weg?
Lohnerhöhungen sind wünschenswert, aber nicht ausreichend. Wir brauchen ein starkes Entgegensteuern der Fiskalpolitik. Insgesamt läuft die derzeitige Wirtschaftspolitik der EU auf Kürzungen hinaus. Speziell in einer Situation wie in Griechenland ist die Produktion weit unter der Kapazität. Dort sind nicht die Lohnkosten das Hauptproblem, sondern die Nachfrage. Mein Vorschlag für die Lohnpolitik wäre, die Löhne weiterhin stabil wachsen zu lassen, das heißt Inflation plus Produktivitätswachstum. Das hat in Österreich einmal Benya-Formel geheißen (nach dem österreichischen Gewerkschafter und SPÖ-Politiker Anton Benya, Anm.). Bei uns wäre das eine kräftige Lohnerhöhung von fünf Prozent. Das ist genau, was Europa brauchen würde, höhere Inflation, und zwar im Süden und im Norden. Solange Deutschland eine Inflation von unter zwei Prozent hat, braucht der Süden Deflation, um Wettbewerbsfähigkeit zu gewinnen, und das ist eine masochistische Strategie.
Welche Rolle spielen Exportüberschüsse?
Das ist ein sehr wichtiger Punkt. Die Überschüsse, die Österreich und Deutschland seit langem produzieren, haben eine Kehrseite. Deutschland - im Windschatten auch Österreich - hat international seine Reputation mit einer Exportorientierung gestärkt und hat Exportüberschüsse von sieben bis acht Prozent des Volkseinkommens. Diesem Überschuss muss ein Defizitland entsprechen. Man hört oft, Deutschland sei durch Konkurrenzfähigkeit gewachsen. Das ist aber zum Teil irreführend. Die Länder, die Außenhandelsdefizite haben, müssen sich im Ausland verschulden, um sich die Importe leisten zu können.
Das deutsche Modell basiert also auch auf Schulden.
Ja. Die werden aber nicht im eigenen Land gemacht, sondern vom Handelspartner. Die Dynamik ist aber natürlich im Krisenfall eine ganz andere. Dem Handelspartner kann man leicht sagen, das ist dein Problem. Das ist eine gefährliche und nicht nachhaltige Strategie für die Weltwirtschaft. Bis 2007 waren diese Ungleichgewichte ein innereuropäisches Problem. Die deutschen Überschüsse wurden von Griechenland, Spanien, Irland und Italien absorbiert. Europa versucht jetzt, das nach Asien oder in die USA auszulagern. Aber Leistungsdefizite sind immer ein vorauseilender Krisenindikator.
Der Traum von einer gemeinsamen europäischen Wirtschaftspolitik ist wohl ausgeträumt?
Als die Krise virulent war, gab es kurze Zeit die Möglichkeit. Die Länder im Süden haben eine gewaltige Lücke zwischen ihrem potenziellen und ihrem tatsächlichen Output, in Spanien und Griechenland liegt diese bei etwa 25 Prozent. Wenn man akzeptiert, dass wir die Fiskalpolitik brauchen, bleibt die Frage, wo die herkommen soll.
Haben Sie eine Idee?
Das derzeitige Krisenmanagement der EU ist kontraproduktiv. Sie versucht, dem Süden Lohnkürzungen vorzuschreiben. Diese Austeritätspolitik gleicht zwar die Handelsbilanzen aus, aber sie reduziert nicht die Staatsschulden; die sozialen Kosten sind enorm. Die EU sollte akzeptieren, dass die griechischen Schulden unbezahlbar sind, und sich überlegen, wie sie ein Wachstumsklima schaffen kann. Das würde bedeuten, umfassend in die Infrastruktur zu investieren. Aus meiner Sicht wäre es sinnvoll, das aus einem gemeinsamen europäischen Pott zu machen anstatt aus dem spanischen oder griechischen, weil das noch schwerer vorstellbar ist.
Ist das im heutigen politischen Klima nicht utopisch?
Es bedarf einer ernsthaften Debatte. Österreich und Deutschland nehmen sich derzeit selektiv, was ihnen gerade in den Kram passt. Viele vergessen, wie sehr wir Teil Europas sind, und es wird unterschätzt, wie ernst die Lage im Süden Europas ist. In Griechenland ist das in der Größenordnung einer humanitären Katastrophe. Zu sagen, das ist mir egal, ich zahle nicht für die, ist eine Vogel-Strauß-Politik, und zu glauben, dass das keine Auswirkungen auf uns hat, ist absolut naiv.
Engelbert Stockhammer, 1969 in Vöcklabruck, Oberösterreich, geboren, studierte Volkswirtschaftslehre in Wien und Massachusetts und unterrichtete danach in Wien, Istanbul, Ankara sowie Paris. Schwerpunkte seiner Forschung sind Arbeitslosigkeit und der Finanzmarkt-Kapitalismus. Seit 2010 lehrt der Ökonom an der Kingston University in London. In Wien sprach er zuletzt auf einer Konferenz für mehr Vielfalt in der wirtschaftswissenschaftlichen Lehre, die von Studierenden organisiert wurde (http://plurale-oekonomik.at/).