SPÖ will, wenn sie gefragt wird, mit ÖVP und FPÖ Gespräche führen. Einfach wird das nicht.
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Wien. Der Wahlkampf ist geschlagen. Aber wohin steuert das rote Schiff? Alle rein, rufen einige der Genossen in der Menge vor dem großen Festzelt der Sozialdemokraten, das zwischen dem Burgtheater und der Parteizentrale in der Wiener Löwelstraße aufgebaut wurde. In Kürze wird der öffentlich-rechtliche Rundfunk live ins Zelt schalten. Und spätestens dann sollte dieses wieder gut gefüllt sein, mit schallenden "Yes we Kern"-Sprechchören inklusive. Das rote Mantra an diesem Wahlabend: überwiegende Freude über den zweiten Platz und die Rehabilitation in der Opposition. Mit Christian Kern. Trotz allem.
Trotz allem, weil der Wahlkampf der Sozialdemokraten alles andere als glatt lief, mit der Causa Silberstein als Schlussstück, das die rote Kampagne völlig zum Entgleisen brachte. Und trotz allem, weil die Ausrichtung der Partei seit Kerns Antritt vor eineinhalb Jahren nicht kohärent war.
Exemplarisch dafür steht die Mitgliederbefragung aus dem vergangenen Jahr zu Ceta, dem EU-Handelsabkommen mit Kanada. Mittels Suggestivfragen ließ die SPÖ ein kleines Grüppchen von Genossen die Parteilinie bestimmten und brachte sich auf EU-Ebene in eine schwierige Position. Denn anders als bei TTIP, dem Abkommen mit den USA, wurde Ceta unter den Mitgliedsstaaten mehrheitlich als unproblematisch empfunden. Im Jänner dieses Jahres präsentierte Kern seinen Plan A - A wie alles drinnen. Kern versuchte den Spagat zwischen einem Programm für Arbeiter wie für Unternehmer. Das war Kerns Wahlkampfauftakt, ohne Neuwahlen auszurufen. Das sollte ÖVP-Chef Sebastian Kurz für ihn erledigen.
Trotz einer guten Ausgangsposition in den Umfragen setzte Kern auf einen Neustart von Rot-Schwarz. Später folgte für wenige Tage eine Mittelschichtskampagne, die aber so schnell verworfen wurde, wie sie gekommen war. Beim Dauerthema Asyl blieb Kern lange vage ("Anzahl der Flüchtlinge auf ein Niveau zu reduzieren, das Integration ermöglicht"), um dann mit der ÖVP gemeinsam etwa das Burkaverbot zu beschließen und seine anfangs eher kalmierende Position zu karikieren. Wohl auch, um im ÖVP-FPÖ-Wählerteich zu fischen.
Und zum Wahlkampfschluss wurde Kern im Dreikampf um die Kanzlerschaft fast dazu gezwungen, den Klassenkämpfer zu mimen, weil er durch die Causa Silberstein in die Defensive geriert und sich stärker von ÖVP und FPÖ unterscheiden musste, um nicht den Anschluss zu verlieren. Die Analyse einer fehlenden Linie wird von vielen Genossen am Sonntag abgenickt. Aber die Einstiegsfrage bleibt: Wohin steuert das rote Schiff?
Ein aufgeschobener Konflikt
Das wollte das SPÖ Präsidium am Tag nach der Wahl für sich herausfinden und festlegen. Das Gremium sprach sich für Koalitionsverhandlungen mit ÖVP und FPÖ aus, sofern man eingeladen wird. Allerdings will die SPÖ nur auf Basis ihres Wertekompasses verhandeln, der unter anderem die Einhaltung der Menschenrechte, die Gleichstellung der Geschlechter oder die Erhaltung sozialer Sicherheit in den Fokus rückt.
Die Parteispitze und die Landeschefs gehen aber ohnehin davon aus, dass Schwarz-Blau ausgemachte Sache ist. Trotzdem kam am Montag der aufgeschobene Konflikt wieder hoch, wie es die SPÖ mit einer möglichen Koalition mit den Freiheitlichen hält, weil sich die Partei diese Option offen hält, die am Montag vor allem von der Gewerkschaft verbal gestützt wurde.
Der Wiener Bürgermeister Michael Häupl will keine Bedenken, auch mit der FPÖ zu sprechen, haben. Wenngleich er seine Haltung bekräftigte, keine rot-blaue Koalition zu wollen. Wahrscheinlich auch im Hinblick auf die Wien-Wahlen 2020, weil der SPÖ damit der klare Gegner abhandenkommen würde. Häupl, der im Jänner den Landesvorsitz abgibt, verwies auf die geltende Beschlusslage in der SPÖ, die eine Koalition mit der FPÖ auf Bundesebene untersagt. "Wenn wir uns nicht mehr ernstnehmen, wer soll uns dann noch ernstnehmen", fragte er rhetorisch.
Die Frage ist, wie viel Gewicht Häupl in der SPÖ noch hat, wenn er in wenigen Monaten sein Amt abgibt, und wie viel der Wahlerfolg in Wien bei der Nationalratswahl dazu beiträgt. Im Territorium von Hans Niessl, der das rot-blaue Tabu bereits lebt, verlor die SPÖ stark, während ÖVP und FPÖ satte Zugewinne machten. In Kärnten, dem Peter Kaiser vorsteht, folgte eine davon unabhängige Pleite. Dort rutschte die SPÖ gar hinter die FPÖ auf Platz zwei. In der Frage nach einer rot-blauen Koalition hat auch die Gewerkschaft ein gewichtiges Wort. Häupl hätte seine Meinung zu Rot-Blau, aber es gebe genug, die andere Meinungen haben, sagte ÖGB-Chef Erich Foglar gegenüber dem ORF-Radio Ö1. Näher führte Foglar den Gedanken nicht aus. Aber das war eine klare Spitze Richtung Wien. Am Dienstag und Mittwoch treffen jedenfalls die Gewerkschafter in ihren Gremien zusammen und besprechen die Lage nach dem Wahlausgang.
"Zurufe werden wir ignorieren"
"Wir wollen keine Türe zuschlagen, das haben wir heute klar gemacht", sagte Parteichef Christian Kern nach den Sitzungen. Die Meinung von Wiens Bürgermeister Häupl nimmt Kern zur Kenntnis. Die Position des Stadtchefs sei bekannt. Die Wiener Vertreter hätten in den Gremien aber für die Aufnahme von Gesprächen gestimmt. Es würden jetzt viele Einzelmeinungen vertreten, so Kern. Die Partei hätte sich aber auf ein Prozedere geeinigt, daran werde sich die Partei nun halten. "Zurufe von Links und Rechts brauchen wir nicht und werden wir ignorieren", sagte Kern gegenüber Ö1.
Kern ist jedenfalls entschlossen, im Amt zu bleiben. Auch in der Opposition. Er hat in den Gremien die Vertrauensfrage gestellt und wurde einstimmig bestätigt. Die Parteistrukturen will er überarbeiten. Dass es Änderungsbedarf gebe, sei im Wahlkampf evident geworden. Das rote Schiff dürfte jedenfalls seinen Kapitän behalten. Welchen Hafen es ansteuert, bleibt noch ungewiss.