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In Genf begann eine neue Runde von Syrien-Friedensgesprächen - der UN-Beauftragte warnt eindringlich vor einem Scheitern.
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Bagdad. Wie sehr das Schicksal Syriens mit Europa verbunden ist, zeigen die Wahlergebnisse in den drei deutschen Bundesländern vom Wochenende. Ohne die vielen Flüchtlinge wäre das Stimmenverhältnis ganz gewiss ein anderes. Auch in anderen Ländern sind Radikale auf dem Vormarsch. Doch die Flüchtlingskrise hört nicht auf, indem man die Fliehenden bekämpft, sondern indem man die Fluchtursachen beseitigt. Also den Krieg in Syrien beendet, der weiterhin tausende Menschen Richtung Europa treibt.
Der Sondergesandte der Vereinten Nationen hat nun in Genf eine weitere Gesprächsrunde zur Beilegung des Bürgerkrieges in Syrien gestartet. Sie soll zunächst bis zum 24. März dauern und dann nach einer etwa einwöchigen Pause fortgesetzt werden. Staffan de Mistura hofft das Beste, muss aber das Schlimmste befürchten. Die vereinbarte Waffenruhe in Syrien sei fragil, halte aber bisher. Doch es bestünden noch erhebliche Differenzen zwischen den Konfliktparteien. Das syrische Opposition, die in Genf vom Hohen Verhandlungskomitee (HNC) vertreten wird, pocht auf einen Abgang von Assad für einen Friedensprozesses. Deshalb werde er sich in den kommenden Tagen weiterhin nur separat mit den Vertretern der Regierung und der Opposition treffen, sagte der Italo-Schwede zu Beginn der Gespräche am gestrigen Montag in Genf. Er hoffe, dass die Abgesandten des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad und des Hohen Verhandlungskomitees (HNC) der Opposition echten Willen zu einer Verhandlungslösung erkennen ließen. Andernfalls werde er den Auftrag zu Bemühungen um Frieden für Syrien "an die Mächte mit Einfluss" zurückgeben müssen, vor allem an Russland, die USA und den UN-Sicherheitsrat.
Was in Genf passiert oder nicht, entscheidet über das Schicksal der 22 Millionen Syrer inner- und außerhalb ihres Landes. Es entscheidet aber auch über die Zukunft der politischen Landschaft in Europa. Ureigenste europäische Interessen sind davon betroffen: völkerrechtlich-humanitäre, sicherheitspolitische und ökonomische. Eine Flüchtlingskrise, die im völkerrechtlichen Rahmen zu managen wäre, spaltet Europa und gefährdet die internationalen Normen des Flüchtlingsschutzes. Gleichzeitig schreddern die Konfliktparteien des syrischen Bürgerkrieges, allen voran das Regime mit seinem Krieg gegen die eigene Bevölkerung, fast sämtliche Fortschritte des humanitären Völkerrechts der vergangenen Jahrzehnte. Die Gespräche in Genf steuerten auf einen "Moment der Wahrheit" zu, erkennt UN-Verhandler de Mistura. Sie müssten sich konzentrieren auf die Frage eines politischen Übergangs in Syrien. Eine Alternative zu einer Verhandlungslösung sehe er nicht. "Der einzige Plan B, der zur Verfügung steht, besteht in der Rückkehr zum Krieg" - und zwar in einer schlimmeren Form als bisher", warnt de Mistura. Doch die sicherheitspolitischen Interessen scheinen verknappt: Priorität habe der Kampf gegen die Terrorgruppe Islamische Staat, hört man allenthalben. Dafür brauche man Russland und den Iran. Bloß geht es Moskau und Teheran in Syrien nicht um die Terrormiliz Islamischer Staat, sondern um den Erhalt des alten Assad-Regimes. Eine allumfassende Lösung für Syrien, wie de Mistura sie anstrebt, ist somit doppelt schwierig.
Der UN-Sicherheitsrat hatte im vergangenen Jahr einen Fahrplan zur Beendigung des Syrien-Krieges mit der Bildung einer Übergangsregierung, einer neuen Verfassung und freien Wahlen bis 2018 gutgeheißen. Die Syrien-Gespräche in Genf starteten dann Ende Januar. Direkte Kontakte zwischen dem Assad-Regime und der Opposition waren bislang aber unmöglich.
De Mistura setzte die Gespräche aus und verschob mehrmals die Wiederaufnahme. In dem Konflikt, der Mitte März 2011 in Gewalt umschlug, wurden nach UN-Schätzungen schon mehr als 260.000 Menschen getötet. Andere Quellen sprechen von fast doppelt so vielen Toten. Acht Milliarden Euro waren 2015 für Syrien veranschlagt, um die Menschen im eigenen Land und die Flüchtlinge in den Nachbarländern mit dem Nötigsten zu versorgen. Damit sollte auch eine Bleibeperspektive geschaffen werden, damit nicht noch mehr Menschen fliehen. Ohnehin hat schon die Mehrheit der Bevölkerung ihr Zuhause verloren. Acht Milliarden - eine winzige Summe im Vergleich zu dem, was für die Rettung der Banken ausgegeben wurde. Doch kaum die Hälfte des Geldes kam zusammen. Deutschland, Österreich und Schweden, die am meisten von der Flüchtlingskrise betroffen sind, zahlten ihren Anteil und legten sogar noch etwas mehr drauf. Länder, die den Krieg in Syrien anheizen - allen voran Russland, der Iran, Saudi-Arabien und Katar -, stellten, wenn überhaupt, lächerliche Summen zu Verfügung. Dabei sollte sich besonders bei ihnen endlich die Einsicht durchsetzen, dass in der Türkei, dem Libanon, im Irak und in Jordanien gerade eine verelendete Klasse von syrischen Flüchtlingen entsteht. Die Männer konkurrieren mit Einheimischen um erbärmlich bezahlte Jobs, Frauen werden zunehmend in die Prostitution gezwungen. Fast eine Million Kinder gehen zum Teil schon seit Jahren nicht mehr zur Schule. Insgesamt leiden 8,4 Millionen Kinder unter dem Bürgerkrieg, ihr Leben ist geprägt von Angst, Gewalt, Hunger und Vertreibung.
Trotz der für Syrien vereinbarten Waffenruhe sind nach UN-Angaben in dem Land immer noch hunderttausende notleidende Menschen für humanitäre Helfer nicht erreichbar. Besonders besorgniserregend sei die Situation in der ländlichen Region um Homs sowie in der Stadt Aleppo, warnen die Leiter der UN-Hilfsorganisationen. Allein an diesen Orten befinde sich noch eine halbe Million Menschen hinter Frontlinien in der Falle. Weitere zwei Millionen seien in Gebieten, die von der Terrormiliz IS beherrscht werden, für die UN-Helfer nicht erreichbar. Es ist nur zu hoffen, dass der Plan B, vor dem de Mistura in Genf so eindringlich warnte, nicht in Kraft tritt.