Thailands Militär hat offenbar keine klare Vorstellung davon, wohin es das Land führen will. Mit dem Putsch wurden Konflikte im Land nur zugedeckt.
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Bangkok/Wien. Es waren Seminare, die Professoren und Studenten wohl nicht so schnell vergessen werden. Das thailändische Militär tauchte in jüngster Zeit in mindestens zwei Lehrveranstaltungen auf und befahl, diese abzubrechen. Bei den Seminaren ging es um Demokratie oder autoritäre Regime, und sie mussten sich dabei gar nicht einmal direkt auf Thailand beziehen.
Die Vorfälle sind ein weiteres Beispiel dafür, wie das Militär, das sich im Mai dieses Jahres an die Macht putschte, die Meinungsfreiheit beschneidet. Viele Websites wurden gesperrt, und die Medien sind gleichgeschaltet.
Auch der thailändische Journalist und angesehene Politologe Pitch Pongsawat wurde von der Junta vorgeladen, die ihm stundenlang auseinandersetzte, wie die politische Lage nun einzuschätzen sei. Seitdem befindet sich Pitch großteils im Ausland, derzeit ist er Visiting Scholar am Harvard-Yenching Institut in den USA, und er war kürzlich Gast des Instituts für Internationale Entwicklung in Wien.
In die Falle gegangen
Im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" erklärt Pitch seine Deutung des Putsches. Er glaubt, dass das Militär diesen nicht von langer Hand geplant und nach der Macht gegiert hätte. Vielmehr konnte es nicht vor seiner eigenen Logik davonlaufen. "Es sah sich verpflichtet, die Lage in Thailand zu beruhigen." Denn in dem südostasiatischen Land ging Angst vor einem Bürgerkrieg um.
Im vergangenen Jahr setzten heftige Proteste gegen die Regierung von Yingluck Shinawatra ein. Denn diese wollte die Verfassung ändern und plante ein Amnestiegesetz - unter anderem für ihren im Exil lebenden und wegen Korruption verurteilten Bruders Thaksin Shinawatra. Dieser war von 2001 bis 2006 Premier und polarisiert bis heute Thailand. Für die Armen ist er wegen üppiger Sozialprogramme ein Held, für die alten Eliten ein korrupter Emporkömmling. Der Multimilliardär lebt zwar im Exil, doch seine Weggefährten gewinnen weiterhin alle Wahlen.
Eine Protestbewegung namens "Demokratisches Reformkomitee des Volkes" (PDRC), die sich hauptsächlich aus der Bangkoker Ober- und Mittelschicht rekrutierte, verlangte den Rücktritt der Regierung, der sie vorwarf, nur ein Handlanger Thaksins zu sein. Doch die dachte nicht daran, wusste sie doch die Armen und damit die Masse der Wähler hinter sich.
Somit blieb der PDRC laut Pitch nur noch eine Möglichkeit: dass sie einen Putsch provoziert. Sie ließ ihre Proteste immer mehr eskalieren, gleichzeitig wurde die Angst geschürt, dass auch die Rothemden losmarschieren und für Gewalt sorgen. Die Rothemden sind eine Massenbewegung aus ländlichen Regionen und stehen hinter dem Thaksin-Lager.
Schließlich schritt das Militär ein und putschte - mit dem Argument, dass es für die Sicherheit im Land sorgen müsse. Nur: Das Bürgerkriegsszenario, das heraufbeschoren wurde, war mehr Imagination als Realität, sagt Pitch. Man fand ja etwa bei den Rothemden bei Razzien nach dem Putsch nicht viele Waffen. "Es wurde mit der guten Intention des Militärs gespielt", sagt er. Oder, wenn man es anders ausdrücken will: Das Militär ist der Protestbewegung in die Falle gegangen.
Reformen versprochen
Nun an der Macht vermittelt die Armee nicht den Eindruck, "dass sie einen Plan hat, wohin sie das Land führen will", sagt Pitch. Vielmehr versucht sie derzeit, verschiedene Interessengruppen zu bedienen. So hört die derzeitige Regierung laut Pitch stark auf Geschäftsleute und pflege sehr enge Kontakte zu China - weshalb sie übrigens gelassen Richtung Westen blicken kann, falls sich die EU oder USA entschließen sollten, starken Druck zu machen. Zudem will die Junta offenbar die Wähler der gestürzten Regierung beruhigen und hält an Subventionsprogrammen, etwa Stützungen für Reisbauern, fest. Gleichzeitig verspricht die Junta eine neue Verfassung und grundlegende politische Reformen - eine Forderung, die die Bangkoker Eliten, die Thaksin verachten, schon lange stellen.
Dafür hat Präsident Prayuth Chan-ocha - der frühere Militärchef, der nun die Uniform abgelegt hat - ein Nationales Reformkomitee einberufen. Es besteht einerseits aus Militärs, andererseits aus Vertretern gesellschaftlichen Gruppen, etwa Angehörige verschiedener Wirtschaftszweige. Und allein die Art, wie dieses Komitee zusammengesetzt ist, spielt den Thaksin-Gegnern, also der PDRC, in die Hände, sagt Pitch. "Das Komitee spiegelt nicht den Willen des Volkes wider, sondern von denjenigen, die gute Netzwerke haben", analysiert er. Und gut vernetzt, das ist vor allem die PDRC, die ja eine Bewegung der Bangkoker Elite ist. Die Rothemden die das Gegengewicht zur PDRC bilden, "wissen nicht, wie man auf diesem Feld der Politik spielt", meint Pitch. Sie sind eine Massenbewegung. Zudem wurden auch die Anführer der Rothemden und der gestürzten Regierungspartei Pheu Thai vom Militär auf die Seite gedrängt, so wurde Ex-Premierministerin Yingluck verboten, sich weiter politisch zu betätigen.
Grundlegender Konflikt bleibt
Thailand hat seit den 1930er Jahren schon mehr als ein Dutzend Putsche erlebt - und auch diesmal wird das Militär die Macht wieder abgeben, was es ja bereits versprochen hat. Den Politanalysten Pitch würde es nicht wundern, wenn Thailand dann eine Art Halbdemokratie, wird, in der etwa die Hälfte der Abgeordneten gewählt und die andere Hälfte ernannt wird. Damit hätten sich die alten Bangkoker Eliten und Thaksin-Gegner politisch durchgesetzt. Doch es ist fraglich, ob sich das die Rothemden auf Dauer gefallen lassen, wenn ihre Stimme nur noch die Hälfte wert sein wird.
Es ist ein Konflikt, der Thailand schon mehr als ein Jahrzehnt lähmt. Auf der einen Seite stehen Thaksin und seine Nachfolger. Gestützt auf den Stimmen der Armen kamen mit ihnen auch neue Geschäftsleute außerhalb Bangkoks, eine neue Elite in die Höhe. Auf der anderen Seite stehen die alteingesessenen Bangkoker Netzwerke, die die Massendemokratie mehr und mehr ablehnen. Auch das Militär scheint keine Lösung für diese grundlegende Auseinandersetzung zu haben, mit seinem Putsch hat es den Konflikt vorerst nur zugedeckt. "Ich habe Zweifel, dass das Militär nun den Übergang erfolgreich gestalten kann", sagt Pitch.