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Plastik-Teile werden im Meer zu Fossilien

Von Roland Knauer

Wissen
Plastikmüll wird zu Fossilien, die nie gelebt haben.
© fotolia/Friedberg

Forscher entdecken winzige Kunststoff-Teilchen in fast allen Schichten der Tiefsee-Sedimente.


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Berlin. Schon ein kurzer Blick auf eine Gesteinsschicht reicht Reinhold Leinfelder von der Freien Universität Berlin für eine erste Schätzung des Alters: "Sind dort Gehäuse von Ammoniten eingebettet, entstand das Gestein vor mindestens 67 Millionen Jahren", erklärt der Geologe. Die Verwandten der heutigen Tintenfische wimmelten damals durch die Meere, starben aber gleichzeitig mit den Dinosauriern vor 67 Millionen Jahren aus.

Weil sich die Ammoniten mit einer Kalkschale schützten, die nach ihrem Tod dem Zahn der Zeit trotzt, sind ihre Gehäuse "Leitfossilien" für verschiedene Epochen der Erdgeschichte. Geologen kennen eine ganze Reihe von ihnen. Seit der Mitte des 20. Jahrhunderts taucht in den Sedimenten von Gewässern jedoch ein neuer Typus von Leitfossil auf. Ähnlich wie die Ammoniten kommt es überall vor und übersteht viele Epochen. Im Gegensatz zu ihnen hat es aber nie gelebt: das Plastik.

"Untersuchen wir Sedimente in Seen oder der Tiefsee, finden wir winzige Kunststoff-Teilchen in fast allen Schichten, die sich seit dem Zweiten Weltkrieg dort abgelagert haben", fasst Leinfelder eine Reihe von Untersuchungen zusammen. In dieser Zeit begannen Strümpfe, Hemden, Hosen und Kleider aus Nylon und Perlon ihren Siegeszug um die Welt. Später folgten Verpackungsmaterialien aus Polyethylen und Polypropylen, deren rasche Verbreitung durch die geringen Kosten beschleunigt wurde: Wenn ihn ein Plastiksackerl nur wenige Cent kostet, gibt der Einzelhändler sie seinen Kunden gern kostenlos mit. Wirbt dann noch der Aufdruck der Firma um neue Kunden, rechnet sich das Service rasch.

Wurden in den 1950er Jahren weltweit zwei Millionen Tonnen Kunststoff im Jahr hergestellt, waren es 2014 ganze 311 Millionen Tonnen. Ein Viertel davon wird in China produziert. Die EU bringt zusammen mit Norwegen und der Schweiz weitere 20 Prozent dieser Kunststoffe auf den Markt und nahezu die gleiche Menge steuert Nordamerika bei.

Die Materialien begegnen den Menschen des 21. Jahrhunderts so häufig, dass wir Kunststoff-Teile meist nicht mehr bewusst wahrnehmen. Vom Dübel in der Wand über Werkstoffe in Telefonen, Küchengeräten oder Fahrrädern bis hin zu Isoliermaterialien an Fassaden sind Kunststoffe aus dem Alltag kaum wegzudenken. Allein Verpackungen machen in der EU 40 Prozent der gesamten Kunststoff-Produktion aus. 95 Milliarden Plastiktüten wurden laut EU-Kommission im Jahr 2010 in Umlauf gebracht. In den meisten Fällen werden sie nur ein einziges Mal verwendet. 36 Prozent des verwendeten Plastiks werden verbrannt, 26 Prozent recycelt und der Rest wandert auf Mülldeponien. In Entwicklungsländern gelangen laut Experten sogar bis zu 80 Prozent unkontrolliert in die Umwelt.

Versteinerungen auch aus Beton und Aluminium

Von schlecht abgedeckten Müllhalden spült Regen die Plastikabfälle in Bäche und Flüsse und von dort ins Meer. Mikrofasern, die sich in der Waschmaschine von synthetischen Stoffen lösen, werden über Abflüsse, Kläranlagen und Gewässer genauso ins Meer gespült wie die Kunststoff-Mikropartikel in Cremes und Duschgels, die beim Duschen ebenfalls ins Abwasser strömen. Zwischen 4,8 und 12,7 Millionen Tonnen Kunststoffe landen jährlich in den Ozeanen, schätzt Jenna Jambeck von der University of Georgia im US-amerikanischen Athens in "Science". Im aggressiven Salzwasser zerkleinern Wind und Wellen, verstärkt durch das ultraviolette Licht der Sonne, das Material. Daher schwimmt im Meer eine Suppe aus Plastikteilen unterschiedlicher Größen. Ein Teil davon sinkt in die Tiefen ab und wird - ähnlich wie einst die Ammoniten - in den Sedimenten am Meeresgrund eingebettet.

"Diese Techno-Fossilien, zu denen neben Kunststoffen auch Aluminium- und Betonteile gehören, sind die Leitfossilien der heutigen Zeit", fasst Reinhold Leinfelder zusammen. Die moderne Zivilisation drückt sogar den Gesteinen ihren Stempel auf.

Wie immer bringt eine solche neue Epoche auch neue Risiken für Leben, das sich noch nicht anpassen konnte. "44 Prozent aller Seevogel-Arten verwechseln diesen Plastikmüll anscheinend mit ihrer Nahrung und fressen ihn nicht nur selbst, sondern füttern ihn manchmal sogar ihrem Nachwuchs", berichtet Leinfelder.

Als Rossana Sussarellu vom Meeresinstitut der französischen Forschungsorganisation CNRS in Plouzané in der Bretagne Pazifischen Austern winzige Mikroplastik-Partikel mit sechs Mikrometer Durchmesser in das Wasser ihrer Zuchtbecken mischte, vermehrten sich die lebenden Leckerbissen schlechter. Ihre Samen waren langsamer, sie legten weniger Eier, die kleiner waren und die Nachkommen wuchsen langsamer, berichten die Forscher in "PNAS". Die Plastikpartikel hatten die Austern vergiftet.