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Der für die Osterweiterung zuständige EU-Kommissar Günter Verheugen stellte am 4. November 1999 fest, dass über die Aufnahme neuer Mitgliedersstaaten in die Union im Jahr 2002 entschieden wird. In
der ersten Gruppe der Beitrittskandidaten Polen, Ungarn, Tschechische Republik, Slowenien, Estland und Zypern gilt die Landwirtschaft als Hauptproblem und nicht die Sicherheit der Atomkraftwerke. Nur
in der zweiten Gruppe der weniger fortgeschrittenen EU-Beitrittskandidaten Litauen, Lettland, Slowakei, Bulgarien, Rumänien und Malta bemängelte Verheugen die Sicherheit des bulgarischen
Atomkraftwerks Kosloduj. Diese Anlage könnte nicht mehr modernisiert werden und sollte vom Netz genommen werden. Anfang Dezember soll in Helsinki darüber beraten werden, ob die zweite Gruppe in die
erste Gruppe der Kandidatenländer aufrücken kann.
Während Österreich bisher die sofortige Abschaltung veralteter Reaktoren sowjetischer Bauart fordert und wenn schon nicht ein Ausstieg aus der Atomenergie sofort möglich ist, dann soll bei der
Nachrüstung von Ost-Atomkraftwerken der neueste Stand der Sicherheitstechnik angewandt werden. Die anderen EU-Mitgliedstaaten aber wollen mangels eigener allgemeinverbindlicher
Atomsicherheitsstandards in der EU den Beitrittskandidaten keine klaren Höchstsicherheitsstandards vorschreiben.
Bei den EU-Verhandlungen über Beitrittskriterien für die Oststaaten rückte Österreich in der EU von seiner Blockade-Drohung ab. Umweltschutzorganisationen kritisieren "Chaos der österreischen Anti-
Atom-Politik" und werfen der österreichischen Regierung vor, die Forderungen für Atomsicherheit immer mehr zurückzunehmen. Die Slowakei hat der EU angeboten, die umstrittenenen Reaktoren aus dem
Atomkraftwerk Bohunice im Jahr 2006 bzw. 2008 stillzulegen. Österreich fordert eine frühere Schließung.
Symbolische Proteste
"Ja zur Osterweiterung · keine neuen Tschernobyls in der EU" mit Spruchbändern und einem aufblasbaren Kühlturm demonstrierten am 15. November 1999 Greenpeace Aktivisten beim EU-
Außenministertreffen in Brüssel. Die Umweltschutzorganisationen fordern die rasche Schließung der Atomkraftwerke mit veralteteten russischen Risiko-Reaktoren in Litauen (Ignalia), Bohunice (Slowakei)
und Kosloduj (Bulgarien).
Atom-Botschaft
Die österreichische Botschafterin in der Slowakei, Gabriele Matzner, kritisierte in einem Bericht, der von Global 2000 veröffentlicht wurde, die österreichische Anti-AKW-Politik gegenüber der
Slowakei: Widersprüchliche Aussagen österreichischer Politiker schwächen die Position: Österreichischen Politikern ist es nicht gelungen, die besondere Gefährlichkeit des veralteten Atomkraftwerks
Bohunice international glaubhaft zu machen. In der Slowakei entstehe der Eindruck, dass Österreich nur droht und erpresst, ohne Hilfen und Alternativen anzubieten und dabei auch noch EU-weit isoliert
ist. Österreichs Anti-Atom-Politik werde daher in der Slowakei als rein innenpolitisch, medienpolitisch und parteipolitisch gesehen, berichtet die Botschafterin aus der Slowakei. Adressiert ist das
Schreiben an die zuständigen Stellen im Außenministerium, an das Kabinett von Bundeskanzler Viktor Klima, Konsumentschutzministerin Barbara Prammer und Umweltminister Martin Bartenstein.
Wie angepasst ist Österreichs Anti-Atom-Politik in der EU? Das wollten die Grünen am 18. November im Parlament in einer Dringlichen Anfrage genauer wissen. Sie stellten Fragen an den Bundeskanzler:
Õ Wer seitens der Bundesregierung den "verheerenden EU Kompromiß vom 4. November" zu verantworten hat
Õ Warum Sicherheitsstudien nicht an die EU Kommission weitergeleitet wurden
Õ Welche Konsequenzen aus der nicht vorhandenen Genehmigung des AKW Bohunice bis 2006 und 2008 gezogen werden
Õ Wann es ein Treffen mit dem slowakischen Ministerpräsidenten gibt
Õ Wann wird die EU über die österreichische Haltung aufgeklärt
Õ Wann stellt Österreich bei einem vorzeitigen Bohunice-Schließung finanzielle Mittel zur Verfügung
Õ Welche Schlüsse werden aus den Aussagen der österreichischen Botschafterin in der Slowakei gezogen
Õ Welche konkreten Anti-Atom-Aktivitäten der Minister Schüssel und Bartenstein sind bekannt?
Bundeskanzler Klima schätzt die Kosten einer vorzeitigen Schließung von Bohunice auf 1,5 Mrd. Schilling pro Jahr. Um der Slowakei einen früheren Ausstieg zu ermöglichen, müsse über die Finanzierung
des Ausstiegs auch noch mit der EU verhandelt werden.
Alle vier Parlamentsparteien forderten einstimmig in einem Entschließungsantrag zum AKW Bohunice die Regierung auf, "sich mit Nachdruck dafür einzusetzen, dass vom Europäischen Rat in Helsinki ein
klares Signal zur Vorverlegung der konkret vorliegenden Schließungsdaten ergeht." Anti Atom International fordert klare Schließungstermine für die sechs Ost-Hochrisikoreaktoren. Bohunice V-1,
Kosloduj 1-4 und Ignalina. Keine dieser Anlagen wurde geschlossen, obwohl die EU-Kommission sie als "nicht nachrüstbar" bezeichnet. Jetzt könnte Österreich mit seiner Anti-Atompolitik endlich
"Rückgrat beweisen", hofft Anti Atom International. Statt sich vehement in der EU für finanzielle Ausstiegshilfen einzusetzen, hat Österreich mit Blockaden bei der Osterweiterung gedroht · und ist
bisher gescheitert: Am 1. Dezember 1999 wurde in der Slowakei der zweite Atomreaktorblock von Mochovce in Betrieb genommen.Õ
Ferdinand Krenn ist Mitarbeiter der ORF-Parlamentsredaktion