Junge Afghanen kämpfen mit einem zunehmend schlechten Image in Österreich, viele von ihnen zu Unrecht.
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Wien. "20 Monate Haft für Afghanen wegen sexuellen Missbrauchs." "Messerstecherei unter afghanischen Flüchtlingen." "Afghanischer Flüchtling belästigt Jugendliche im Freibad." Es sind Schlagzeilen wie diese, die das Bild von Afghanen in der Öffentlichkeit prägen. Vor allem junge Männer kämpfen mit einem zunehmend schlechten Image; einige verdient - und einige mehr zu Unrecht.
Ali sitzt am großen, etwas verstaubten Flügel im Gemeinschaftsraum des "Haus Liebhartstal", einer Unterkunft des Samariterbundes für unbegleitete minderjährige Asylwerber in Wien Ottakring. Er klimpert eine Melodie, die sehr sanft und nur etwas holprig klingt. "Es ist ein afghanisches Lied. Ich habe nie Klavier spielen gelernt, aber wenn ich eine Melodie höre, kann ich sie irgendwie nachspielen", sagt er. Ali ist 17 Jahre alte und kam im Sommer vergangen Jahres mit seinem jüngeren Bruder nach Österreich. Eigentlich sollten sie die Schlepper nach Norwegen bringen. Irgendwann mitten in der Nacht haben sie dann alle, die eingepfercht im Kastenwagen saßen, in Österreich einfach ausgesetzt. Das passiert Flüchtlingen oft. Jetzt wohnen Ali und sein Bruder zusammen mit 60 anderen, unbegleiteten minderjährigen Schutzsuchenden im "Haus Liebhartstal".
"Würde nie Kopftuch tragen"
Aktuell leben über 35.000 Afghanen in Österreich, der Großteil kam in den vergangenen fünf Jahren als Asylwerber ins Land. Unter den unbegleiteten Minderjährigen sind sie mit Abstand die Nummer eins. Von den 6300 minderjährigen Flüchtlingen in der Grundversorgung sind 1652 Afghanen. 278 von ihnen sind jünger als 14 Jahre.
Dass ihre Landsleute nicht das beste Image in Österreich haben, wissen Sami (17), Hasard (18), Hadir (17) und Ali. Verbrechen, die von Afghanen begangen würden, seien unverzeihlich, so die jungen Burschen, und würden am Ende die gesamte Community beschädigen. "Viele, die hierher kommen, wissen oft nicht, wie sie sich benehmen müssen, was richtig und was falsch ist", sagt Hasard. "Wir haben nie gelernt, mit dieser Freiheit, die es hier gibt, umzugehen."
Die jungen Männer sind zwischen sechs Monate und ein Jahr lang hier. Sie kommen aus einem Land und einer Kultur, in der Gehorsam der Familie gegenüber und die Sitte das Wichtigste sind. Außer ihren Müttern und Schwestern haben einige der jungen Afghanen vor ihrer Ankunft in Europa noch nie eine unverschleierte Frau gesehen. Dass Frauen hier als Ärztinnen, Betreuerinnen, Lehrerinnen, Polizistinnen arbeiten, gehört zu den Sachen, die sie noch lernen müssen, in dieser schönen neuen Welt. Und viele wollen auch lernen.
"Als Frau bist du in Afghanistan nichts wert. Für eine Afghanin ist Österreich ein Paradies, und das ist auch gut so", sagt Ali. "Wäre ich eine Frau, würde ich hier kein Kopftuch tragen, wozu auch?", sagt Hasard. Ob sie sich vorstellen können, eine österreichische Frau zu heiraten? "Ja, sehr gern! Kennst du eine, die uns haben will?", lachen die Burschen.
Ungewissheit und Langeweile
Ihre Asylverfahren laufen noch, und sie wissen nicht, ob sie hier bleiben dürfen. Im Gegensatz zu syrischen Flüchtlingen dauern die Asylverfahren bei Afghanen meist länger. Hier müsse meist im Einzelfall ermittelt werden, ob tatsächlich ein Fluchtgrund nach der Genfer Flüchtlingskonvention vorliegt, erklärt der Sprecher des Innenministeriums, Karl-Heinz Grundböck.
Es ist diese Mischung aus Langeweile und Ungewissheit, die den jungen Männern zusetzt. "Das Warten macht uns krank. Manchmal geraten wir aus Langeweile aneinander", erzählt Hasard. Weil sie nicht mehr schulpflichtig sind, gehen sie nicht in die Schule, und weil ihr Bleiberecht noch nicht geklärt ist, ist es auch schwierig, eine Ausbildung anzufangen. Der Alltag besteht meist aus Essen, Schlafen, Deutschkurs - sofern noch Mittel dafür da sind -, Fußballspielen im Käfig, Spazierengehen, im Park abhängen. "Nicht alle afghanischen Jugendlichen belästigen Frauen, sind betrunken oder auf Drogen", so Ali. Wären sie in Ausbildung oder hätten einen Job, würden auch weniger auf solche Ideen kommen.
Es gibt übrigens Dinge in Österreich, an die sich die jungen Männer niemals gewöhnen werden: "Ich hoffe, das ist jetzt nicht respektlos, aber dass ihr euch in der Öffentlichkeit schnäuzt, das werde ich nie verstehen. In unserer Kultur ist das total ekelhaft und unhöflich."