Mit dem Eingreifen Russlands in Syrien wird ein Regionalkonflikt endgültig zu einem internationalen.
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Moskau/Damaskus/Wien. Nach langem Stillstand geht es in Syrien nun Schlag auf Schlag. Wenige Stunden nach der offiziellen Erlaubnis durch das russische Oberhaus am Mittwoch flog Russland dutzende Luftangriffe in dem Bürgerkriegsland. War anfangs davon die Rede, nur Stellungen des Islamischen Staats (IS) anzugreifen, so erklärte ein Regierungssprecher in Moskau am Donnerstag, dass bei den Luftschlägen auch andere Rebellengruppen als der IS ins Visier genommen würden. In Russland erklären Analysten das unter anderem damit, dass der Kreml ein "weiteres Verständnis" von Terroristen in Syrien habe und - im Gegensatz zu den meisten westlichen Staaten - etwa auch den Al-Kaida-Ableger Al-Nusra zu den extremistischen Gruppierungen zähle. Kritiker vermuten, Russland werde insgesamt eher auf jene Rebellengruppen zielen, die seit Jahren gegen den mit Russland verbündeten syrischen Präsidenten Bashar al-Assad kämpfen.
Damit würde auch eintreten, was syrische Oppositionelle befürchten: Dass Moskau Assad stützt und ebenso wenig Interesse hat, primär den IS zu bekämpfen, wie etwa die Türkei. Ankara bombardiert seit Wochen die Kurdenguerilla PKK und nicht den IS. Gleichzeitig befürchten die Rebellen eine Verlängerung des Konflikts durch den neuen Player.
Dass die Lage mit dem offiziellen Eintritt Russlands noch unübersichtlicher wird, zeigt auch folgender Vorfall am Donnerstag: Zwei russische Luftangriffe haben nach Angaben eines Rebellenkommandeurs auch das Lager einer vom US-Geheimdienst trainierten Gruppe getroffen. Washington hatte im Frühjahr begonnen, gemäßigte Rebellen für den Kampf gegen den IS auszubilden. Angesichts mehrerer Rückschläge - unter anderem fand sich US-Ausrüstung plötzlich in Händen der Al-Nusra wieder - wurde dieses Programm jedoch diese Woche auf Eis gelegt.
Immerhin - nach einem Treffen der Außenminister Russlands und der USA einigte man sich darauf, dass sich Militärexperten der beiden Länder so schnell wie möglich koordinieren. Dies soll verhindern, dass sich die USA und Russland versehentlich in die Quere kommen.
Informationskrieg
Divergierende Ansichten gibt es offenbar auch insgesamt darüber, wo der Islamische Staat in Syrien Kontrolle ausübt. Dazu reicht ein Blick auf Karten, die die Machtverteilung in Syrien zeigen. Auf Grafiken, die in russischen Medien kursieren, ist im Gegensatz zur Karte des US-Thinktanks Institute for the Study of War eine IS-Präsenz etwa in Homs markiert, aber auch ein Gebiet rund um Kobane und Aleppo. "Kurden und Aleppo, seid auf der Hut", wurde die russische Karte in sozialen Medien kommentiert.
Gleichzeitig mit den ersten russischen Luftschlägen tauchten auch erste Berichte über zivile Opfer auf. Kremlchef Wladimir Putin bezeichnete diese als feindliche Propaganda. "Die ersten Informationen darüber waren schon aufgekommen, bevor unsere Kampfflieger in den Himmel gestiegen waren", sagte Putin vor dem russischen Menschenrechtsrat in Moskau am Donnerstag. Er sprach von "Informations-Attacken". Auch Außenminister Sergej Lawrow dementierte die Berichte vor Journalisten in New York: "Hören Sie nicht dem Pentagon zu, wenn es um russische Luftschläge geht."
Gleichzeitig tauchten Berichte auf, die syrische Armee bereite offenbar mit Unterstützung iranischer Soldaten, der libanesischen Hisbollah-Miliz und der russischen Luftwaffe eine großangelegte Militäroffensive im Norden des Landes vor. Der Iran habe dazu in den vergangenen zehn Tagen hunderte Soldaten nach Syrien entsandt, sagten zwei libanesische Informanten der Nachrichtenagentur Reuters am Donnerstag. Die geplante Bodenoffensive solle die russischen Luftschläge gegen Rebellenstellungen ergänzen und sich angeblich auf die Region Idlib konzentrieren - ein Gebiet, dass Assads Truppen Ende Juli verloren.
Luftschläge auch im Irak?
Russland ist dem Außenministerium in Moskau zufolge zudem auch zu Luftangriffen auf den IS im Irak bereit, sollte die Regierung in Bagdad darum bitten, meldete die Nachrichtenagentur RIA. Der irakische Premier Haider al-Abadi begrüßte in New York das russische Angebot. Die Luftunterstützung der US-geführten Allianz für die irakischen Streitkräfte sei enttäuschend, sagt al-Abadi.
Sorgen um eine Eskalation in Syrien haben am Donnerstag auch die Ölpreise angeschoben. Nordseeöl der Sorte Brent verteuerte sich um 2,3 Prozent auf 49,47 Dollar je Barrel (159 Liter).