Der Corona-Ausbruch beim deutschen Konzern Tönnies wirft ein Schlaglicht auf die Zustände in der Fleischindustrie. Tönnies verspricht Besserung - doch das Vertrauen der Politik ist "gleich Null".
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Als die ersten Corona-Fälle in der deutschen Fleischindustrie bekannt wurden, war Peter Kossen zur Stelle. Der katholische Pfarrer hatte Anfang Mai eine Ein-Mann-Demonstration angemeldet, stand dann im westfälischen Coesfeld rund drei Stunden vor dem Werkstor des Schlachtbetriebs von "Westfleisch" und hielt Plakate mit Aufschriften wie "Moderne Sklaverei beenden" in die Höhe. Der Betrieb musste damals geschlossen werden, nachdem mehr als 100 Beschäftigte positiv auf das Coronavirus getestet worden waren.
Kossen ist in der Kleinstadt Vechta, wo sich die Schlachthöfe aneinander reihen, aufgewachsen - und er predigt seit Jahren gegen Ausbeutung und Massenunterkünfte, setzt sich für würdevolle Arbeitsbedingungen und gerechte Entlohnung in der Fleischindustrie ein. Es war zumeist ein einsamer Kampf, der manchmal zwar regional für Wirbel sorgte - Kossen wurde auch immer wieder bedroht -, aber bundesweit nur selten Aufmerksamkeit erfuhr. Doch nun blickt plötzlich ganz Deutschland auf die Fleischindustrie.
Denn die Corona-Pandemie hat ein Schlaglicht auf diese Industrie und die Arbeitsbedingungen, die in ihr herrschen, geworfen. In einer Fabrik des Konzern Tönnies sind mehr als 1330 der 6193 Mitarbeiter mit Covid-19 infiziert. Sie wurden unter Quarantäne gestellt - und mit ihnen auch viele andere Bewohner der Siedlungen, in denen sie leben. Noch ist für Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidenten Armin Laschet aber nicht vom Tisch, ob nicht der gesamte Kreis Gütersloh, in dem das Fleischwerk liegt, massiv heruntergefahren werden muss - das würde dann rund 360.000 Bewohner betreffen.
Dass sich ausgerechnet rund um eine Fleischfabrik ein derartiger Cluster gebildet hat, ist kein Zufall - und hängt eng mit den Arbeits- und Lebensbedingungen der Arbeiter zusammen. Diese stehen oft eng zusammen, es ist kühl und oft so laut, dass sich die Arbeiter nur verständigen können, wenn sie schreien - das könnten laut Virologen ideale Bedingungen für die Verbreitung des Virus gewesen sein.
Hinzu kommt die Frage, wie weit Tönnies selbst Regeln gebrochen hat - im Internet kursiert ein Video, das zeigt, wie die Mitarbeiter in der Kantine eng beieinander sitzen, als hätte es Corona nie gegeben. Der Konzern musste inzwischen einräumen, dass das Video im April, mitten in der Pandemie, aufgezeichnet wurde.
Darüber hinaus spielen die Wohnverhältnisse keine unwesentliche Rolle. Die großteils aus osteuropäischen Ländern wi Polen und Rumänien stammenden, schlecht bezahlten Arbeiter leben dicht gedrängt auf engstem Raum - mehrere Mann teilen sich nicht selten eine Wohnung. Diese gehören laut deutschen Medien nicht selten den Subunternehmen, die die Leiharbeiter an die Fleischfabriken weiterreichen - und ihnen dann auch gleich die Miete abziehen. Dieses Geflecht aus Subunternehmen macht nun auch die Eindämmung der Pandemie so schwierig. Tönnies behauptet, dass es die Adressen vieler Arbeiter wegen des Datenschutzes nicht besitzen darf, diese hätten die Werkvertragspartner. Die Behörden laufen sich die Füße wund, um sämtliche Arbeiter aufzuspüren - von denen manche vielleicht schon wieder in ihre Heimatländer gereist sind.
"Wir werden die Branche verändern"
Clemens Tönnies sagt: Er bleibt. Der Arbeitersohn, dessen Vermögen von Forbes auf 1,4 Milliarden Euro geschätzt wird, ist der Geschäftsführer und 50-Prozent-Eigentümer von Tönnies. Nun hat er eine Pressekonferenz gegeben, die in vielen deutschen Fernsehkanälen ausgestrahlt wurde.
Tönnies ist die Öffentlichkeit gewohnt, er ist auch Aufsichtsratsvorsitzender des -gerade unter Arbeitern - populären Fußballvereins Schalke 04. Zwar bittet er - der "Familienunternehmer", wie er sich bezeichnet - um Entschuldigung. "Wir sind die Ursache des Themas." Doch präsentiert er sich nicht als reuiger Sünder, sondern sagt: "Ich werde kämpfen." Sein Neffe, Miteigentümer Robert Tönnies, hat seinen Onkel Clemens scharf wegen der Werkverträge kritisiert und zum Rücktritt aufgefordert. Doch dieser verspricht stattdessen: "So werden wir nicht weitermachen." Und: "Wir werden die Branche verändern."
Die Politik ist aber verärgert - über die Fleischindustrie im Ganzen und Tönnies im Speziellen. Arbeitsminister Hubertus Heil will Deutschlands größten Fleischkonzern nun für die Schäden des Corona-Ausbruchs zivilrechtlich haften lassen. Und ab dem 1. Jänner sollen in der ganzen Branche Werkverträge verboten sein. "Mit der gesundheitlichen Gefährdung und der Ausbeutung von Menschen muss Schluss sein", sagte Heil der "Bild". Sein Vertrauen in die Tönnies-Konzernleitung sei "gleich Null".
Auch der Priester Kossen vertraut den Versprechen nicht. "Da hätte man mit Blick auf die Menschenwürde schon viel früher etwas verändern müssen", sagte er der "Süddeutschen Zeitung".