Symbolischer Akt wenige Wochen vor der Massenflucht von DDR-Bürgern. | Fest an der Grenze zum 20. Jahrestag. | St. Margarethen. Ein Hauch von DDR-Nostalgie liegt Freitag Früh über dem burgenländischen Urlauber-Paradies Mörbisch. Hier ein Trabant, verlassen an der Ortseinfahrt, dort, unweit des verlassen daliegenden Seebades, ein ganzer Haufen der ulkigen, in grellen Farben bemalten Ost-Autos. Ein Trupp übermüdeter Deutscher sucht unterdessen im Urlauberquartier "Haus Martin" nach einer anstrengenden nächtlichen Fahrt einige Stunden Ruhe. Am Nachmittag sollen sich die tuckernden Ost-Raritäten in Richtung St. Margarethen und in Folge zur ungarischen Grenze bewegen.
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Dort wird am Freitag Abend mit einem Festakt des 27. Juni 1989 gedacht. Jenes Tages, an dem der damalige österreichische Außenminister Alois Mock und sein ungarischer Amtskollege Gyula Horn, jeweils mit Drahtscheren bewaffnet, den Eisernen Vorhang kappten.
Massen-Exodus
Die Aktion hatte reinen Symbolcharakter - und ungeahnte Auswirkungen. Tausende DDR-Bürger, die verzweifelt Erich Honeckers Arbeiterparadies verlassen wollten, wurden dadurch auf die Risse aufmerksam, die der Eiserne Vorhang in Ungarn bekam. In der Hoffnung, ein Schlupfloch in den Westen zu finden, kamen sie in das Urlaubsland, schlugen ihre Zelte in grenznahen Campingplätzen auf oder nächtigten unter freiem Himmel.
Am 19. August 1989 war es soweit: Ungarische Oppositionelle und die Paneuropa-Union luden an der Grenze zwischen Sopron und St. Margarethen zu einem Picknick, wobei ein verrostetes Grenztor in einem feierlichen Akt geöffnet werden sollte. Hunderte Ostdeutsche nutzen die einmalige Chance zur Flucht, sie drückten das Grenztor ein und strömten nach Österreich.
Der ehemalige DDR-Bürger Dieter Schliewenz sitzt 20 Jahre danach im Frühstücksraum der Pension "Martin", während die anderen Mitglieder seines Trabant-Vereins in ihren Zimmern schlafen. Die ganze Nacht haben sie im Bus verbracht, ihre Autos kamen per Sattelschlepper ins Burgenland. "Die hätten die Reise vielleicht nicht mehr überlebt", meint er. Im Sommer 1989 ist er, so wie viele andere DDR-Bürger, in Ungarn gewesen, doch an Flucht nach Österreich hat er damals nicht gedacht. Immerhin war er schon Familienvater mit einem zehn Jahre alten Sohn. "Wenn wir jünger gewesen wären, hätten wir es vielleicht gewagt", sagt Schliewenz.
Einen radikalen Bruch mit der DDR hat er 1989 und auch in den Jahren danach vermieden. Zumindest was Autos betrifft. Selbst als nach der deutschen Wiedervereinigung ein West-Auto angeschafft wurde, hielt er an seinem Trabant fest, mittlerweile hat Familie Schliewenz drei davon - zwei mehr als zu DDR-Zeiten, "wo man 18 Jahre warten musste".
Unterdessen sind auf dem Festgelände zwischen St. Margarethen und Fertörakos die Vorbereitungsarbeiten beendet, schnell wurden auf der Straße letzte Ausbesserungen vorgenommen, bevor neben den Trabanten die Limousinen des österreichischen und des ungarischen Präsidenten an dem Platz, wo einst das Paneuropa-Picknick stattfand, vorbeidefilieren.
Rostiges Eisen
Andreas Waha sitzt derweil im Garten seines Hauses in St. Margarethen und erinnert sich an 1989. Er war damals Bürgermeister und hat die Ereignisse hautnah miterlebt. Am 11. August seien Vertreter der ungarischen Opposition zu ihm gekommen, erzählt er, und hätten ihm von der Idee berichtet, am 19. August ein Picknick an der Grenze zu veranstalten. Man würde jetzt einen österreichischen Partner für die Veranstaltung suchen. Er habe damals eigentlich keine Zeit gehabt, so der Ex-Bürgermeister, immerhin hätte er viele kleine Pflichten wie Weinverkostungen und Veranstaltungen rund um Mariä-Himmelfahrt wahrnehmen müssen. Aber: "Ich habe gesagt, ich mache mit", so der pensionierte Ortschef. Wobei das eigentliche Fest in der Sopron-Puszta, einige Kilometer vom Grenztor entfernt, geplant war. In einem Festakt hätte dann das "Tor von Margarethen", wie es mittlerweile genannt wird, geöffnet werden sollen. Ungarische Grenzer hätten sich aber schon vorher an dem rostenden Eisen zu schaffen gemacht, wohl wissend, dass es schwierig zu öffnen wäre, erzählt Waha.
Auf diese Gelegenheit hätten bereits über 100 Ostdeutsche gewartet, die im Wald hinter dem Tor versteckt auf ihre Chance lauerten. "Plötzlich begann ein unglaublicher Wirbel, die Leute sind losgelaufen, haben das Tor aufgedrückt und die ungarischen Grenzer vor sich hergeschoben." Die Wächter machten von ihren Schusswaffen nicht Gebrauch, sondern begannen "seelenruhig, Stempel in die Pässe der österreichischen Festgäste zu drücken".
In der Tat war man damals in Ungarn des Eisernen Vorhangs schon die längste Zeit überdrüssig. Anfang 1988 galt auf Betreiben der Reformkommunisten Reisefreiheit - natürlich nur für ungarische Staatsbürger. Die Instandsetzung des 350 Kilometer langen Grenzzauns, der vor sich hinrostete, erschien als reine Geldverschwendung. Die Erneuerung würde den Staat rund eine Million Dollar pro Jahr kosten, errechneten die zuständigen Stellen in Budapest - viel Geld für das verschuldete Land. Der neu ins Amt gewählte Premier Miklos Nemeth strich den Etat kurzerhand, schon am 2. Mai 1989 begannen ungarische Grenzer damit, den rostigen Stacheldraht aufzuwickeln.
Zuvor hatte der sowjetische Staatschef Michail Gorbatschow gemeint, er sehe "ehrlich gesagt gar kein Problem", wenn die Ungarn die Grenze öffnen würden. Wichtig für die DDR-Flüchtlinge war außerdem, dass Ungarn im Juni 1989 der Genfer Flüchtlingskonvention beitrat. Damit konnte sich das Land weigern, "Grenz-Verletzer" wieder in ihre Heimat abzuschieben.
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