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Analyse: Die ÖVP erträgt die Niederlage mit erstaunlicher Gelassenheit und Grandezza. Der Grund: Sie lebt mit einem Traum aus Fleisch und Blut.
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Wien. Als gelernter Österreicher blickt man dieser Tage etwas ungläubig auf das Stillleben der heimischen Innenpolitik. Während die einst für ihren ehernen Willen zu Geschlossenheit gerühmte Sozialdemokratie mit ungeahnter Leidenschaft am Sessel ihres Parteivorsitzenden rüttelt, hat die für ihre unterhaltsame Undiszipliniertheit berüchtigte Volkspartei die Gelassenheit des Stoizismus für sich entdeckt.
Die debakulöse Niederlage im ersten Durchgang der Bundespräsidentenwahl - Andreas Khol landete auf Platz fünf mit 11,1 Prozent der Stimmen - ist der ÖVP natürlich in alle Glieder gefahren. Jetzt ist allen klar: Mit dem falschen Kandidaten zur falschen Zeit mit der falschen Strategie ist die Fallhöhe nach unten offen. Einstelligkeit bei bundesweiten Wahlen ist zur realen Möglichkeit geworden. Es gibt keine sicheren Wählerstimmen mehr, und zwar nirgendwo und für niemanden, nicht für die Niederösterreicher und auch nicht für die Tiroler. Nicht einmal mehr auf die Bauern, diese scheinbar allerletzte Bastion der ÖVP, ist noch Verlass.
Dass die Partei in dieser Situation trotzdem nicht den Kopf verliert und in die traditionelle Kakofonie der üblichen Stichwortgeber verfällt, das ist tatsächlich neu und durchaus überraschend. Keiner fordert Parteiobmann Reinhold Mitterlehner zum Rücktritt auf, niemand will die schwarze Regierungsmannschaft zum Teufel jagen, ja nicht einmal ein Wechsel an der Spitze des Parteimanagements wird angeraten.
Warum das nun so ist, liegt auf der Hand: Vor 1995 und wieder seit 2007, also mit Ausnahme der zwölfjährigen Obmannschaft Wolfgang Schüssels, hat die Partei im Angesicht von Niederlagen auf ein Patentrezept geschworen - Königsmord. Geholfen hat es praktisch nie. Noch die vermeintlich größten Talente - man denke nur an Josef Pröll - verglühten innerhalb kürzester Zeit. Womöglich, so dämmert es jetzt offensichtlich den schwarzen Notabeln, ist politischer Erfolg keine ausschließliche Frage des Spitzenpersonals; zumindest dann nicht, wenn man sich die Herausforderungen eines ÖVP-Obmanns vor Augen führt: Juniorpartner unter einem SPÖ-Kanzler, die meist divergierenden Interessen der Bünde im Rücken und die regionalen Egoismen der Länder vor Augen.
Dass die ÖVP aktuell - und in augenfälliger Differenz zur Kanzlerpartei - nicht in Panik verfällt, hat aber auch noch einen weiteren Grund: sie verfügt, eben im Unterschied zur SPÖ, über einen Plan B.
Außenminister Sebastian Kurz verführt das bürgerliche Lager des Landes immer noch zu jener Art von Träumen, in denen man sich ausmalt, was nicht alles möglich wäre, wenn . . . Nicht wenige trauen dem ausgezeichneten Rhetoriker - der immer noch erst 29 Jahre alt ist und trotzdem bereits über einen prallen politischen Erfahrungsschatz verfügt - zu, in einem Wahlkampf sogar gegen die Blauen und Heinz-Christian Strache bestehen zu können. Dieser hoffnungsvolle Traum, lässt die ÖVP die Unwirtlichkeit der Gegenwart etwas leichter ertragen.