Thailands frühere Premierministerin Yingluck Shinawatra hat sich offenbar ins Ausland abgesetzt.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 7 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Bangkok. Zuerst hieß es, sie habe Kopfweh und Ohrenschmerzen und könne deshalb nicht vor Gericht erscheinen. Dann war Thailands frühere Premierministerin Yingluck Shinawatra plötzlich verschwunden. Offenbar war sie ins Ausland geflohen. Das sagten ihr nahestehende Personen. Wohin, war am Freitag noch unklar. Vertreter der derzeit in Thailand herrschenden Militärregierung gaben jedenfalls bekannt, dass sie Thailand über keinen offiziellen Weg verlassen habe. Kurz nach ihrem Verschwinden wurde gegen Yingluck ein Haftbefehl erlassen.
Die 50-jährige frühere Spitzenmanagerin kam damit dem Spruch eines Sondergerichts für politische Straftaten zuvor, durch den ihr bei einer Verurteilung zehn Jahre Haft drohten. In dem Prozess ging es um ein Subventionsprogramm für Reisbauern während der Regentschaft von Yingluck, die von Sommer 2011 bis Mai 2014 das südostasiatische Land regierte.
Ihr wird zur Last gelegt, mit staatlichen Subventionen für Reis - ein Grundnahrungsmittel in Thailand - Milliarden verschwendet zu haben. Damals kaufte die Regierung Reisbauern die Ernte weit über dem Marktwert ab. Zudem wurden auch immer wieder Vorwürfe laut, dass Gelder nicht bei den Bauern ankamen, sondern in den Taschen von Zwischenhändlern landeten. Im Raum steht ein Schaden zwischen umgerechnet zwischen drei und 14 Milliarden Euro.
Die ehemalige Premierministerin wies alle Vorwürfe als "politische Machenschaften" zurück. Immer wieder hatte sie das schon während ihrer Regierungszeit umstrittene Programm damit verteidigt, dass es der Armutsbekämpfung gedient habe.
Die Verkündung des Urteils wurde nun verschoben. Sollte Yingluck (die eigentlich versprochen hatte, in Thailand zu bleiben) nicht wieder in ihrer Heimat auftauchen, wird das Urteil voraussichtlich Ende September verkündet. Unabhängig davon, ob Yingluck nun schuldig ist oder nicht - das Urteil wird politisch gedeutet werden. Für ihre Anhänger, die während des Prozesses immer wieder vor dem Gerichtsgebäude in Bangkok protestierten, war es schon eine politische Intrige, dass es überhaupt zu dieser Anklage kam, und sie glauben auch nicht an die Neutralität des Gerichts. Das führt mitten hinein in einen Konflikt, der das Land seit 16 Jahren polarisiert.
Yingluck Shinawatra ist die jüngste Schwester des Selfmade-Milliardärs Thaksin Shinawatra. Dieser war ebenfalls Premier, und zwar von 2001 bis 2006, bevor er vom Militär gestürzt wurde. Ein thailändisches Gericht hat ihn später wegen Korruption verurteilt, doch er hatte sich zuvor schon ins Exil abgesetzt.
Gespaltenes Land
Thaksin stützte seine Herrschaft vor allem auf die Masse der Armen, also der städtischen Tagelöhner und der Landbevölkerung im dicht besiedelten Nordosten des Landes. Für diese rief er Sozialprogramme, wie etwa eine bessere Krankenversorgung, ins Leben. Auch nach seinem Sturz hatte Thaksin vom Ausland aus noch großen Einfluss auf das Geschehen in Thailand. Und seine Gefolgsleute setzten seine Politik fort - wie eben auch Yingluck Shinawatra mit ihrem Programm für Reisbauern. Damit gewannen die Thaksin nahestehenden Bewegungen sämtliche Wahlen, die nach 2006 stattfanden.
Doch jeder Wahlsieg löste große Straßenproteste der Bangkoker Ober- und Mittelschicht aus, deren Vorwurf lautet, dass sich die Shinawatra-Parteien die Stimmen der Armen kaufen würden, um sich die Macht zu sichern und so eigenen korrupten Geschäften nachzugehen. Und jedes Mal wurden die Shinawatra-Regierungen gestürzt: Entweder durch Militärputsche oder durch Gerichtsentscheide, die Regierungschefs ihre Ämter kosteten. Die Anhänger der Shinawatra-Bewegung sahen sich dadurch jedes Mal um ihre bei demokratischen Wahlen abgegebene Stimme gebracht.
Zuletzt war dies 2014 der Fall. Zunächst wurde Yingluck Shinawatra durch einen Gerichtsentscheid als Premierministerin abgesetzt - ihr war Freunderlwirtschaft vorgeworfen worden. Kurz darauf mussten auch die Mitglieder ihrer Partei Pheu Thai die Regierungsbänke räumen. Das Militär übernahm die Macht.
Bis heute regiert die Armee, und sie hat drastische Maßnahmen gesetzt. Websites wurden gesperrt, Radiosender geschlossen, die Meinungsfreiheit wurde empfindlich eingeschränkt.
Im nächsten Jahr sollen Wahlen stattfinden. Dafür wurde bereits eine neue Verfassung verabschiedet. Mit dieser sind nur noch Reste von Demokratie übrig. Denn die Parteien werden kräftig geschwächt. So bestimmt nun die Armee künftig den Senat. Dieser nimmt nicht nur großen Einfluss darauf, wer Premier wird, sondern er kann auch gleich die gesamte Regierung entlassen.
Die neue Verfassung dient somit der alten, mit der Militärspitze und dem Königshaus verbundenen Elite. Diese steht der Massendemokratie, die dem Shinawatra-Clan seine Wahlsiege brachte, ohnehin ablehnend gegenüber.
Auf der Gegenseite macht sich immer mehr der Verdacht breit, dass der Shinawatra-Clan aus dem politischen Leben Thailands nun endgültig verdrängt werden soll. Tatsächlich verliert dieser mit der Flucht Yinglucks eine wichtige Symbolfigur. Der grundlegende Konflikt ist damit aber nicht gelöst. Bis heute ist unklar, wie die Bangkoker Eliten und die Masse der nordöstlichen Landbevölkerung einen Interessensausgleich finden sollen. Einstweilen ist der Konflikt durch das Militär stillgelegt.