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Plump gegen grob gegen unbeholfen

Von Franz Schandl

Gastkommentare

Gastkommentar: Ob im Wahlkampf noch alles offen ist, ist zu bezweifeln.


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Im Gegensatz zu Deutschland, wo die Wahl trotz Einzug der AfD und Wiedereinzug der FDP in den Bundestag eher konventionell und bieder (Angela Merkel versus Martin Schulz) abläuft, ist das politische System in Österreich regelrecht in die Mischmaschine geraten. Die Volatilität hat immens zugenommen, Zu- und Abgänge, Übertritte und Austritte bestimmen die parlamentarische Szene. Neue Listen formieren sich aus alten, frischen und auch obskuren Kräften, treten an, ziehen ein, verschwinden aber auch schnell wieder von der Bühne. Man denke an das Team Stronach, das nach nur einer Legislaturperiode wieder die Segel streicht. Wichtiger als zu prognostizieren, wer unmittelbar reüssiert, ist daher zu konstatieren, dass das Parteiensystem im Zerfall begriffen ist. Österreich liegt hier im Trend. Ergebnisse sind hochgradig fluktuierend. Aktuelle Entwicklungen sagen wenig über substanzielle Veränderungen aus.

Wahlkämpfe sind immer stärker atmosphärisch ausgerichtet. Es geht weniger um die Mobilisierung von Interessen als um die Produktion von Stimmung, darum, die Wähler richtig zu temperieren. Inhalte werden über Reizworte beschworen, nicht über Konzepte abgehandelt. Mindestsicherung, Bildung, Gesundheit und vor allem Wohnen spielen - ganz konträr zu ihrer lebensweltlichen Bedeutung - kaum eine Rolle. Dass die nunmehr "Liste Kurz" genannte ÖVP das heimische Sozialsystem kräftig beschneiden will, ist kaum Gegenstand der medialen Diskurse. Dafür ist pausenlos von Gerechtigkeit und Werten die Rede. Vor allem aber tobt ein Kulturkampf, der bei aller berechtigten Kritik an Hasspredigern, islamistischen Schulen und Kindergärten doch den Charakter eines abendländischen Abwehrkampfs angenommen hat. Die FPÖ fordert gar ein Heimatschutzministerium nach US-Vorbild.

Sozialdemokratische Warnblinkanlage

Unter die Räder kommen diesmal wohl Sozialdemokraten und Grüne. Ob Kanzler und SPÖ-Chef Christian Kern das Ergebnis seines Vorgängers Werner Faymann, der zumindest die letzte Nationalratswahl trotz Verlusten noch gewonnen hat, halten kann, darf bezweifelt werden. Die SPÖ wirkt unbeholfen, ja oftmals dilettantisch. Man hat das Gefühl, als sei Kern noch nicht richtig angekommen in der Politik. Der beschworene Macher erscheint als Zauderer.

Das Ringen gegen die FPÖ ist dem Ringen um die FPÖ gewichen. Die Frage, ob die SPÖ mit der FPÖ koalieren darf, ist durch die Frage, wie man ein Bündnis mit Heinz-Christian Strache verkaufen kann, ersetzt worden. Jetzt heißt es allerorten, man müsse die Ängste der Leute ernst nehmen. Gemeint ist damit aber, dass der Kampf gegen die Vorurteile aufgegeben wurde und man sich umgekehrt ihrer selbst bedienen will. Strache hat nicht unrecht, wenn er betont, dass ÖVP und SPÖ freiheitliche Inhalte übernehmen. Indes fahren die Sozialdemokraten diesen Kurs nicht konsequent, sondern aufgrund mentaler und politischer Vorbehalte mit angezogener Handbremse.

Auffällig ist, dass die SPÖ derzeit sowohl rechts als auch links blinkt. Eingeschaltet ist also die Warnblinkanlage. Kerns Politik gleicht einem Slalom, in dem der Kanzler durch markante Aussagen zwar Tempo zu machen versteht, aber regelmäßig einfädelt oder aus der Bahn geworfen wird, während sein Kontrahent Sebastian Kurz, Außenminister und Spitzenkandidat der ÖVP, den geraden Weg der rechten Abfahrt nimmt und so wohl schneller am Ziel sein wird.

Kurz hat den Aufstieg der Freiheitlichen gebremst

Der plumpe Kurs des konservativen Jungstars hat zumindest dazu geführt, den Aufstieg der FPÖ zu bremsen und seine marode Volkspartei, die zu einem Fanklub umfunktioniert wurde, in den Umfragen weit nach vorne zu bugsieren. Derzeit erscheint Kurz als der nicht mehr einholbare Favorit. Er wirkt trotz seiner 31 Jahre erfahren, und tatsächlich sitzt er auch schon seit sieben Jahren in der Regierung und hat in seinem Leben nie etwas anderes gemacht außer Politik. Wenn der Zweck der Kampagnen die Illuminierung des Wahlvolks ist, dann sieht die ÖVP tatsächlich neuer aus, als sie ist, während die SPÖ genau so alt aussieht, wie sie ist.

Christian Kern muss einen Kollateralschaden nach dem anderen aus dem Weg räumen. Da ist einmal die gruselige Geschichte mit dem als Wundercoach verschrieenen Wahlkampfberater Tal Silberstein, der vor einigen Wochen in Israel verhaftet wurde und nun wegen schweren Korruptionsverdachts unter Hausarrest steht. Hurtig trennte man sich von dem Mann, der die Kampagne der Sozialdemokraten so richtig anheizen hätte sollen.

Da sind weiters die recht vielschichtigen Firmengeflechte des auf Gerhard Schröders Spuren agierenden früheren SPÖ-Vorsitzenden und Kurzzeitkanzlers Alfred Gusenbauer, der mit Silberstein und vielen anderen in diverse Geschäfte verwickelt ist. Gusenbauer, ein eifriger Sammler von Aufsichtsratsposten, gilt inzwischen als Problembär. Wird er aus seinen verbliebenen Parteifunktionen (etwa als Präsident der Parteiakademie) nicht abgezogen, ist das schlecht, wird er abgezogen, ist es aber kaum besser. Und dann hat auch noch der Wiener Bürgermeister und SPÖ-Chef Michael Häupl seinen baldigen Rückzug aus der Politik angekündigt. Warum er das mitten im Wahlkampf getan hat, ist vielen ein Rätsel.

Und wie reagiert der Kanzler? "Alles ist auf Schiene", behauptet der Mann, auch wenn die Lok einen Getriebeschaden hat und die Waggons sich zusehends leeren. Den eigenen Truppen wider besseres Wissen zu suggerieren, dass die Stimmung gut sei, ja der Wahlkampf ausgezeichnet laufe, wird nicht reichen. "Das Feuer an der Basis brennt nicht", meint dazu ein Gewerkschafter. Dem ist so. Der SPÖ-Chef verdrängt bloß Nervosität durch Ansage.

Die SPÖ setzt auf Realitätsverweigerung. Als Rettungsanker gelten die Fernsehduelle, in denen Kern es Kurz schon zeigen werde. Aber selbst wenn das aufgeht, wird es nicht die Stimmen bringen, die Wahl noch zu drehen. Der Vorsprung des ÖVP-Chefs hat sich über die Monate verfestigt, da mag der Kurz-Hype noch so eine Blase sein. Die ÖVP mag eine plumpe Wahlkampftaktik fahren, aber im Gegensatz zu den Genossen hat sie eine.

Marktradikale und nicht sozialpopulistische FPÖ

Die Zeichen stehen auf Schwarz-Blau. Mit ihrem Wirtschaftsprogramm hat sich die FPÖ eindeutig marktradikal und nicht sozialpopulistisch positioniert. Alles deutet auf ein Bündnis von ÖVP und FPÖ hin. Die Frage ist, wer besser bei den anderen marodieren kann. Da läuft momentan vieles für Kurz hinaus. In der Flüchtlings- und Sicherheitspolitik unterscheidet die ÖVP maximal der Ton, nicht die Programmatik von der FPÖ. Plump statt grob, so feiert der Abwehrkampf gegen Ausländer und insbesondere Muslime bei Kurz seine bürgerlich gepflegten Exzesse.

Dabei wirkt er sehr entschlossen. Nebenbei möchte der neue Mann etwa 80 Prozent des christkonservativen Parlamentsklubs austauschen. Seine Bevorzugung von Quereinsteigern ist nichts anderes als eine Adaption von Jörg Haiders Politikmache. Der Apparat rebelliert nicht. Solange die Umfragewerte stimmen, liegt ihm die Partei zu Füßen. Aktuell ist sie ein Popanz. Sobald Kurz aber strauchelt, wird die ÖVP wieder zum Torso. Das wird wohl bald, aber nicht sehr bald sein.

Der bisher beste Kommentar dazu stammt übrigens vom österreichischen Lyriker Georg Trakl. In seinem prophetischen Gedicht "Sebastian im Traum" (1914) heißt es: "Im Schatten des Nußbaums der Geist der Bösen erschien. (. . .) / O wie leise verfiel der Garten in der braunen Stille des Herbstes, / Duft und Schwermut des alten Holunders, / Da in Sebastians Schatten die Silberstimme des Engels erstarb."

Zum Autor

Franz Schandl

ist Historiker und Publizist in Wien sowie Redakteur der "Streifzüge" (www.streifzuege.org).