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Anna Jermolaewa kam 1989 als Flüchtling von Russland nach Österreich; sie war als junge Künstlerin Mitglied einer Oppositionsgruppe gewesen und zog die Ausweisung der Haft vor. Zuletzt war sie nicht nur Outstanding Artist 2011, sie ist nun auch Doppelstaatsbürgerin und stellt in ihren Videos, Fotografien und Installationen die Protestbewegung in Russland in spannenden Erzählungen dar. 2007 entstand im Team mit ihrer Tochter Anastasia ihr "Selbstportrait mit Diktator" in einem Wachsfigurenkabinett mit vertauschten Rollen: Der russische Präsident Wladimir Putin blickt milde an den Betrachtern vorbei, die Künstlerin von oben starr auf uns herab. Im Hintergrund herrscht metaphorische Dunkelheit.
Die Tricks des Widerstands
Ihre "Methods of social resistance on Russian examples" von 2012 zeigen in einem Video und in einer nachgebauten Skulptur Variationen des aktuellen Widerstands gegen die russische Staatsgewalt. Das Demonstrationsverbot gegen die manipulierten Präsidentschaftswahlen haben die Bewohner des sibirischen Barnaul im März mit kleinen Spielzeuggruppen samt Transparenten als Ersatz im Schnee umgangen. Andere Städte folgten dem Beispiel. Eine solche aus Legobausteinen und Plastikprotagonisten bestehende Protestakkumulation hat die Künstlerin mitgebracht und in Kunstschnee auf ein Podest gestellt. Interviews erweitern mit subversivem Humor die vielen Methoden alternativ Streikender. Neben dem bekannten Auftritt von Pussy Riot sind viele andere kreative Protestaktionen mit hohem Erkenntnisgewinn in einer verbalen Reprise festgehalten.
Kurator Hans-Peter Wipplinger hat bekannte Videos wie "Kiss", "Mutterschaft", "Research for Sleeping Positions" und "Überlebensversuche" für die retrospektiv angelegte Personale ausgewählt und mit Jermolaewas neuen Installationen raumangepasst verbunden. Dabei zeigt "Fünfjahresplan. Work in Progress", begonnen 1996 und als lebenslange Fortsetzung angelegt, durch die in einem Einkaufsack versteckte, aufwärts fahrende Kamera auf einer abwärts fahrenden Rolltreppe in der U-Bahn von St. Petersburg, dass sich von 1996 bis heute wenig an Kleidung und Ausdruck der Menschen verändert hat, die hier im Rhythmus von fünf Jahren in den Untergrund unterwegs sind. Nur die Werbeflächen haben zugenommen, und die Reichen fahren oberhalb auf den Straßen in ihren Karossen.
Oft sind die Werke autobiografisch untermalt, die Jermolaewa unternimmt - so spürt sie in ihrer letzten Installation "Gulag" der Vergangenheit ihrer Urgroßeltern nach, die, 1930 nach Sibirien verschleppt, in der Lagerregion Perm leben mussten: Nur im Winter sind die Wege mit einem Lastwagen befahrbar, tausende Kilometer Schnee, Bäume, kaum Menschen, und dann Stacheldraht und teils aufgelassene, teils weiter genützte Lagerdörfer.
Riskante Spurensuche
Im letzten bekommt sie Auskunft über den aktuellen Aufenthalt von Maria Aljochina von der Künstlergruppe Pussy Riot - die Reise in die Vergangenheit ist somit in der aktuellen Unterdrückung politischer Häftlinge kulminiert. Die Frage einer Journalistin, ob sie sich nicht fürchte, mit ihren brisanten Recherchen im heutigen Russland verhaftet zu werden, verneint die Künstlerin. Furcht ist keine Kategorie für eine, die in ihrer Kunst poetische Spurensuche mit kritischer Aufdeckung von Machtpotenzialen in unseren Gesellschaften verbindet.
Interessant nur, dass wir erst mit dem Video "Auf die Seite" wahrnehmen, wie Jermolaewa auch unsere Komplizenschaft mit bösen Mechanismen des Kapitalismus gegen den Strich bürstet. Dabei ist neben wertlosem Spielzeug der Mist ein wichtiger Protagonist ihrer Beobachtungen, da immer das Alltäglichste große politische Komplexe enthüllt.
Ausstellung
Personale Anna Jermolaewa
Hans-Peter Wipplinger (Kurator)
Kunsthalle Krems
Bis 17. Februar