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Polen, Deutsche - oder Schlesier?

Von Martyna Czarnowska

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In Polen ist eine Debatte um Minderheiten und nationale Zugehörigkeit entbrannt. Sie wird auch länderübergreifend geführt.


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Hat er nun also - oder hat er nicht die Schlesier beleidigt? Nein, befand eine Warschauer Staatsanwaltschaft. Sie verzichtet daher darauf, entsprechende Ermittlungen gegen einen polnischen Ex-Premier aufzunehmen. Der gehört aber der größten Oppositionspartei an, und die Regierungsfraktion überlegt, ob sie Berufung gegen den Entscheid der Staatsanwaltschaft einlegen soll.

Es wäre ein Sturm im Wasserglas - wenn er sich nicht um einen polarisierenden Politiker und ein paar in Polen noch immer heikle Themen drehen würde. Der Ex-Premier ist nämlich Jaroslaw Kaczynski, Vorsitzender der nationalkonservativen Partei PiS (Recht und Gerechtigkeit), und es geht nicht zuletzt um das Verhältnis vieler Polen zu ihren deutschen Nachbarn, das noch immer nicht frei von historisch bedingten Ressentiments ist. Da kann es schon vorkommen, dass jemand Aussagen über seine mögliche deutsche Herkunft als Unterstellung oder gar Beleidigung ansieht.

Genau diese Ressentiments wolle Kaczynski einmal mehr bedienen, werfen ihm Kritiker vor. Und was hat das alles mit den Schlesiern zu tun? Die brachte Kaczynski in seinen Aussagen zur begonnenen Volkszählung mit Deutschen in Verbindung: Wer sich in der Befragung zur schlesischen Nationalität bekenne, wähle "eine maskierte deutsche Option". Schnell brach eine Debatte über die polnische Nation, Volksgruppen, Minderheiten und Zugehörigkeitsgefühle los.

Vertreter der Regierungspartei Bürgerplattform (PO) und der deutschen Minderheit orteten Diskriminierung sowie Kränkung einer ethnischen Gruppe und legten Beschwerde ein. Kommentatoren machten sich Gedanken darüber, wer die Schlesier überhaupt seien. Und im rechtskonservativen Lager machte das Gerücht die Runde, die Einheit Polens sei in Gefahr.

Die Schlesier selbst, in der südpolnischen Region mit Vertretern der deutschen Minderheit lebend, sehen sich als eigenständige Gruppe mit eigenem Dialekt. Anders als die Deutschen sind sie laut Verfassung nicht als Volksgruppe anerkannt. Aber auch wenn einer ihrer Verbände "Bewegung für die Autonomie Schlesiens" heißt, betont deren Vorsitzender Jerzy Gorzelik, dass nicht die Loslösung von Polen das Ziel seiner Organisation ist, sondern größere Selbstbestimmung, so wie es vor dem Zweiten Weltkrieg der Fall war. Als Vorbild nennt er unter anderem den Föderalismus in Österreich.

Die Debatte, ob die Schlesier eine eigene Nation sind, flammt immer wieder auf. Einige Fußballfans haben die Frage jedenfalls für sich beantwortet und demonstrieren dies gern auch bei Auswärtsspielen schlesischer Klubs. Auf dem riesigen Banner, der über die Tribüne gehängt wird, ist dann "Schlesische Nation" zu lesen.

Minderheiten beschäftigen Polen aber auch in größerem, nämlich internationalem Rahmen. So ringt Warschau seit Wochen mit Berlin um eine Einigung zu den Rechten der deutschen Minderheit in Polen einerseits und Zugeständnissen für die in Deutschland lebenden Polen andererseits.

Letztere will Berlin nicht als Volksgruppe anerkennen, da es keine historisch gewachsene Minderheit sei. Diese "Asymmetrie" prangert vor allem PiS an. Sie verlangt Sitze im Bundestag für Vertreter der Polen, so wie Deutsche Mandate im polnischen Parlament haben. Und sie hätte gern mehr Geld für ihre Landsleute im Westen. PiS-Politikerin Dorota Arciszewska-Mielewczyk hatte dafür gleich einen Vorschlag parat. Von den rund 25 Millionen Euro, die der deutschen Minderheit in Polen garantiert seien, könnte doch

ein Teil an die Polen in Deutschland fließen.