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Polen: Eine Vision steht zur Wahl

Von Martyna Czarnowska (Warschau)

Europaarchiv
Zu wenig für die Wirtschaft getan und Polens Image im Ausland geschädigt zu haben, wirft Oppositionsführer Donald Tusk (bei einer Wahlkampfveranstaltung) der PiS vor.

Zweikampf zwischen den beiden größten Rechtsparteien. | Polarisierung der Eliten und Spaltung der Gesellschaft. | Poznan/Warschau. Darek weiß es wirklich nicht. Der 35-Jährige, der als Kundenbetreuer in einer Bank im nordwestpolnischen Poznan arbeitet, wird zwar am Sonntag ganz bestimmt wählen gehen. Doch er ist ratlos, wem er seine Stimme geben soll. Vor zwei Jahren hat er noch PiS (Recht und Gerechtigkeit) gewählt, die Partei der Zwillingsbrüder Jaroslaw und Lech Kaczynski, mittlerweile Premier und Staatspräsident. Das hält ihm seine Frau Agata, eine Schulpsychologin, bis heute vor.


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Sie hatte für die Bürgerplattform (PO) gestimmt; die Law-and-Order-Politik der Kaczynskis habe sie schon damals nicht gutgeheißen.

Doch Darek war von PiS überzeugt: "Ihr Programm war klar und stimmig. Ich dachte, jetzt würde etwas weitergehen." Als die Partei allerdings an die Macht gekommen war, sei sie von der Situation überfordert gewesen.

Statt die Wirtschaft anzukurbeln, habe sie nichts getan; statt einen Prozess der Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit zu starten, habe sie eine Hetzjagd auf vermeintliche Agenten begonnen. Und wenn Darek gewusst hätte, mit wem PiS eine Koalition bilden würde, hätte er sicher nicht für die Rechtskonservativen gestimmt.

Ungeliebte Koalition

Die Zusammenarbeit mit der radikalen Samoobrona (Selbstverteidigung) des selbst ernannten Bauernführers Andrzej Lepper und der rechtsnationalen Liga der Polnischen Familien hat viele Polen verstimmt. Die Koalitions-Auflösung führte auch zur vorgezogenen Parlamentswahl. Ob die beiden ehemaligen Partner des PiS auch künftig im Parlament vertreten sein werden, ist unklar. Manche Umfragen sehen sie an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern. Weit größere Chancen, in den Sejm einzuziehen, hat zwar das neue Linksbündnis LiD (Die Linken und Demokraten). Doch für Schlagzeilen sorgte es in erster Linie mit dem vermeintlich betrunkenen Zustand seines Vorsitzenden, Ex-Präsident Aleksander Kwasniewski, bei seinen Auftritten.

So lief denn auch die Wahlkampagne auf einen Zweikampf zwischen den beiden größten Fraktionen und ihren Vorsitzenden hinaus: Premier Kaczynski kontra Oppositionsführer Donald Tusk von der PO. Dabei sind beide Gruppierungen Rechtsparteien, haben ihre Wurzeln in der Gewerkschaftsbewegung Solidarnosc, treten für einen starken Sozialstaat ein. Dennoch ist die PO wirtschaftsliberaler: Sie spricht sich für Steuersenkungen sowie die Einführung einer Flat Tax aus.

Demokratie in Gefahr?

Doch weit mehr als die Wirtschaftsprogramme polarisierten die Visionen vom Staat. Schon den Urnengang im Jahr 2005 hat PiS zu einer Wahl zwischen einem "solidarischen" und einem "liberalen Polen" stilisiert. Nachdem die Partei die Regierung übernommen hatte, kündigte sie an, endlich für Ordnung im Staat zu sorgen: die Korruption zu bekämpfen, Netzwerke zwischen Unternehmen und Politikern zu zerschlagen, mehr für jene zu tun, die sich nach den Umbrüchen 1989 in der neuen Realität nicht wiederfinden konnten.

Doch stattdessen nehme das Land immer mehr die Züge eines totalitären Staates an, behaupten PiS-Gegner. Als Beispiele dafür nennen sie die parteipolitisch motivierten Umbesetzungen im staatlichen Fernsehen, die Schaffung einer Antikorruptions-Behörde, die nicht unabhängig, sondern der Regierung unterstellt ist, sowie zahlreiche Abhöraktionen und verbale Angriffe auf den Verfassungsgerichtshof. Und während Kaczynski ankündigt, weiter "im Staat aufzuräumen", sehen Kritiker die Demokratie in Gefahr.

Kosten des Wandels

Diese Polarisierung betreffe allerdings die Eliten und reiche nicht tief in die Gesellschaft hinein, meint der Politologe und Vorsitzende der nichtstaatlichen Stefan-Batory-Stiftung in Warschau, Aleksander Smolar. Eine Spaltung der polnischen Gesellschaft gebe es trotzdem. So sprechen sich für PiS vor allem Menschen aus, die den Wandel nach 1989 mit zu großen Kosten verbunden sehen, meist Ältere, Ärmere und geringer Gebildete. Auch gefalle vielen PiS-Wählern die betonte Nähe der Kaczynskis zum Katholizismus sowie das Pochen auf ein selbstbewusstes Polen im Umgang mit anderen europäischen Ländern.

Als Demokraten sieht Smolar die Kaczynskis jedenfalls an. "Es ist jedoch eine antiliberale Vorstellung von Demokratie", sagt der Politologe. "Sie versucht all das zu begrenzen, was politische Entscheidungen schwieriger macht (wie Kontrollinstanzen)." Daher kämen etwa die Angriffe auf den Verfassungsgerichtshof.

Staatlich oder privat

Was Marta mehr am derzeitigen Regierungsstil in Polen stört, sind die Eingriffe ins Privatleben der Bürger, verbunden mit traditionellen Wertvorstellungen. "Der Staat sollte nicht in die Privatsphäre eingreifen", stellt die 33-jährige Warschauer Biologin fest. Es gehe nicht darum, ob beispielsweise Homosexuelle Kinder adoptieren dürfen. "Aber ob ein Mann und eine Frau, zwei Männer oder zwei Frauen zusammenleben, sollte ihre Sache sein", erklärt Marta. Gefördert und gutgeheißen werde von der Regierung allerdings nur die traditionelle Form der Familie.

Wen sie jedoch wählen wird, weiß auch Marta noch nicht. Anders als die Schulpsychologin Agata, die für die PO stimmen möchte. Laut Umfragen würde sie damit auf die Siegerin setzen: Die Oppositionspartei hat PiS mittlerweile überrundet und liegt bei etwa 40 Prozent, an die drei Prozentpunkte vor der Regierungspartei. Doch schon vor zwei Jahren ist PO in Umfragen vorne gelegen - und wurde Zweite.

Wahlbeteiligung offen

Viele Menschen in Polen seien jedenfalls politisiert wie selten zuvor, findet Agata. "Noch nie haben sich meine Kollegen in der Arbeit über so viele politische Entscheidungen geärgert, noch nie so viel über Politik gesprochen."

Ob sich das auf die Wahlbeteiligung auswirken wird, ist jedoch offen. Auch im Jahr 2005 wurde ein hoch emotionalisierter Wahlkampf geführt. Den Weg zur Urne fand damals aber nicht einmal jeder zweite Pole.

Wirtschaft bleibt sich selbst überlassen